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"Neben dem, was rund um Italiens Küsten aufgezeigt wurde, bleiben einige wenige kirchlich Wehrbauten - vor allem Klosterburgen -, die unabhängig von der Bedrohung vom Meer her entstanden. Die Städterivalitäten, insbesonders im Norden - mit gelegentlichen fast vollständigen Zerstörungen -, prägten die Architektur stärker als reine Religionskriege wie in Frankreich. So ist es nicht verwunderlich, daß es in Italien mehr als genug Burgen gibt oder doch zumindest deren Reste, nicht aber Kirchenburgen." (70)
"Neben dem, was rund um Italiens Küsten aufgezeigt wurde, bleiben einige wenige kirchlich Wehrbauten - vor allem Klosterburgen -, die unabhängig von der Bedrohung vom Meer her entstanden. Die Städterivalitäten, insbesonders im Norden - mit gelegentlichen fast vollständigen Zerstörungen -, prägten die Architektur stärker als reine Religionskriege wie in Frankreich. So ist es nicht verwunderlich, daß es in Italien mehr als genug Burgen gibt oder doch zumindest deren Reste, nicht aber Kirchenburgen." (70)
In Langeudoc, Rouergue und Roussillon sind ungefähr 150 Wehrkirchen, in Guyenne, Gascogne und Béarn noch ungefähr 70, ebenso in Limousin, Périgord und Quercy ca. 70, in Anjou, Poitou, Aunis und Saintonge rund 40, in den Ardennen, Champagne, Thiérache, Picardie und Artois ungefähr 90 (alleine in Thiéarche noch über 50), in der Auvergne, Viverais und Gévaudan noch ca. 35. In Südfrankreich zählt man noch 360 Wehrkirchen. (96)
Es ist eine Eigentümlichkeit des italienischen Städtebaus, dass manche Kirchen von fernher schon lange sehen kann, in der Stadt aber schwer zu finden sind. Dies ist eine doppelte Schutzmaße: Zum einen konnten über den hohen Kirchturm weit in das Umland hineingeblickt und damit große Truppen früh erkannt werden. Zum anderen schützen nach dem Eindringen des Feindes in den Ort die engen Gassen und verwinkelten Straßen die Kirche vor einem raschen Vordringen. Manchmal konnte der Feind auch in der Stadt aufgehalten werden. Dies war das Konzept der "[[Bastion Gottes]]". "Wer eine dieser kleinen Städte, etwa [[Montblanc]], durchwandert, Gäßchen für Gäßchen, einen Durchgang nach dem anderen, wird erst nach einigen Irrwegen endlich zur Kirche gelangen. Nicht zufällig ist das Gewirr entstanden, sondern mit System. So wurde der Ort insgesamt zur Bastion, in deren Zentrum die Wehrkirche eine letzte Abwehrstellung bildete."
(106)
Bastiden: "Die Hauptlast der Verteidigung trug jedoch nicht die Kirche, sondern der rundherum geschlossene Platz, dessen Häuser untereinander verbunden sind - auch an Ecken. ... Das Prinzip war dem der Kathedralen ähnlich. War der Feind bis hierher vorgedrungen, versuchte man ihn von oben aus zu bekämpfen. Die äußere Befestigung sollte es nicht so weit kommen lassen. Insofern unterschieden sich diese Dörfer kaum von Städten. Während aber Städte allmählich gewachsen waren und dann eine Befestigung erhielten, wurden die Bastiden von vornherein als Wehrdörfer geplant." (108)
Die [[Frot-Kirchen]] in der [[Thiérache]]: "Die Entstehungszeiten der verschiedenen 'Forts' in der Thiérache hängen deutlich mit politischen Ereignissen zusammen. Jean-Paul Meuret hat eine Liste von zwei Dutzend Wehrkirchen zusammengestellt, die alle innerhalb von 150 Jahren von 1550 bis 1700 entstanden sind." (116)
"Wo immer sonst in Europa Wehrkirchen oder Kirchenburgen entstanden, waren sie Schöpfungen der Ortsherrschaft und der Bewohner, wobei die gegenseitige Beziehungen sehr unterschiedlich sein konnten: befohlen, erlaubt, zugelassen, finanziert oder sogar in Opposition.<br>
Anders in der [[Thiérache]]. Hier bauten sie die sogenannten 'Communautés' der Bewohner, also Gemeinschaften oder besser Notgemeinschaften, ohne herrschaftliche Befehle oder Akte. Am Ende des 16. Jahrhunderts war die Herrschaft der Herren und Äbte deutlich im Schwinden begriffen. Die Gemeinschaften übernahmen auch sonst die Verantwortung für die Kirchen. Sie waren bei Reparaturen und bei Überfällen meist allein auf sich gestellt." (118)
"Die für die [[Thiérache]] charakteristische Form dagegen ist der Turm über dem Westportal der Kirche, der hier 'Fort' genannt wird. Diese Forts sind weniger Verteidigungseinrichtungen als Schutzräume. Sie konnten die gesamte Bevölkerung eines Dorfes zusammen mit ihrer wertvollsten Habe aufnehmen. Die Schießschaften befinden sich meist in den Türmchen an den Flanken, wobei eines die Zugangstreppe zum Fort enthält." (118)
Gewöhnlich hatten diese Forts 3 Etagen. Die unterste war für die Wachmannschaft bestimmt. "Alle Etagen hatten einen Kamin. Das Erdgeschoß bildet jeweils die Vorhalle zur Kirche. Diese Vorhalle besitzt indes keinen Zugang zu den darüberliegenden Stockwerken. Wie sehr die ganze Anlage vordringlich als Schutz gedacht war, zeigt ihre Konzentraktion auf diese Forts. Von den Flankentürmen konnte der Eingang bewacht und beschossen werden, Gußerker direkt über dem Portal boten weitere Möglichkeiten. Selbst ein in die Kirche eingedrungener Feind wurde dort bekämpft, denn vom Fort aus gab es Schießschaften in das Schiff der Kirche. Es ist eine Art der Verteidigung, die dem in Deutschland, besonders in Franken, verbreiteten Chorturmsystem genau entgegengesetzt ist. Die eine konzentriert alles, über - oder sogar unter - dem Altarraum, die andere alles über dem Portal." (119)
"Zwar nicht in [[Prisces]], indes an anderen Kirchen der Thiérache, wurden am Chor oder am Querschiff weitere Verteidigungstürmchen oder Erker angebaut, wie in [[Plomion]]. Übereinstimmende Merkmale lassen auf eine Bauhütte schließen, die alle diese Bauten nacheinander ausführte. ... In der Thiérache bleibt die Kirche oder besser das Fort die Zufluchtsstätte. Ringmauern oder befestigte Friedhöfe sind zweitrangig. Gewiß ist anzunehmen, daß es Gräben um den Friedhof gab, aber kaum etwas läßt auf Einrichtungen schließen, die einer Kirchenburg ähneln könnten." (119)
"Drei große französische Klosterburgen ragen aus der Vielzahl solcher Anlagen durch ihre Eigenart heraus: St-Honorat, St-Victor und St-Michel. Jede davon in exponierter Lage, die zugleich ihre Form mitbestimmt hat: St-Honorat auf der Klosterinsel im Meer, St-Victor im alten Steinbruch im Hafenbecken und St-Michel als Inselfestung." (120)
Saint-Honorat<br>
Im Jahr 732 kamen die Sarazenen mit 7 Schiffen auf die Insel und metzelten Procaire, den Abt des Klosters, und 500 seiner Mitbrüder nieder. Im 7. Jh. bildete das neu errichtete Kloster der Insel einen Klosterstaat, in dem nach alten Berichten rund 3.700 Mönche lebten. Zum Klosterstaat gehörten 2 große und 2 kleine Inseln. 70 Heilige und zahlreiche Bischöfe gingen aus dem Klosterstaat hervor.<br>
Um den Verlusten durch ständige Überfälle etwas Wirksames entgegen zu setzen, befahl der Abt den Bau eines außergewöhnlichen Donjons. Der mächtige Turm birgt ein ganzes Kloster mit Kirche, Kreuzgang und allen zum Leben notwendigen Räumen. Was sonst nebeneinander angeordnet ist, ist in diesem Turm übereinander. Der Donjon wurde so solide gebaut, dass er die Zeiten überdauerte, während die beiden alten Kirchen und 7 Kapellen durch Neubauten ersetzt werden mussten oder Ruinen sind.<br>
Der Historiker Barralis (16. Jh.) nennt 90 Räume, von denen 36 von Mönchen als Zellen dienten, 5 den Hilfskräften, 4 waren Kapellen. Es gab 2 Zisternen, 2 große und zahlreiche kleine Treppen, 88 Türen und über 100 Fenster, die meisten davon nach innen gerichtet.<br>
Das Kloster war auch ein Teil der Wachturmkette entlang der Küste mit Cannes, Fréjus und anderen Küstenstädten. (120)
Saint-Victor<br>
Die äußerlich imposante Kirche verblüfft innen. Das hohe fensterlose Schiff und die Seitenschiffe gehören zu oberirdischen Wehranlagen. Die Krypta gehört zur unterirdischen Wehranlage. "Rings um dieses frühe Heiligtum gruppieren sich verschieden große, hohe und weite Gottesdiensträume oder besser gesagte mehrere Unterkirchen, und man vergißt, daß man sich tief unter der Erde befindet, benachbart einem antiken Steinbruch.<br>
Dem Besucher dieser Unterkirche von Saint-Victor fällt es selbst dann schwer, sich zurechtzufinden, wenn er zuvor versucht hat, sich anhand des Planes ein Bild zu machen. Hier wurde seit dem 5. Jahrhundert ununterbrochen gebaut und gegraben. Nicht weniger als fünf Kapellen, ein Atrium, Märtyrergräber, Katakomben und Grotten liegen in der Erde. Was oben von außen wie eine trutzige Festung wirkt, läßt nicht erahnen, was sich im Innern des Berges verbirgt." (121)
Saintes-Maries<br>
"Das Bild dieser Klosterfestungen wäre nicht vollständig, wenn man ihnen nicht eine völlig anders organisierte Wehrkirche gegenüberstellen könnte: [[Les Saintes-Maries-de-la-Mer]]. ... Hinter dieser Wehrkirche stand kein Kloster. Gefährdete Gemeinden schufen sie, später stand sie unter dem Schutz des Königs. Die nahezu fensterlose, gut ausgebaute Seefestung stammt in ihrem Kern aus dem 9. Jahrhundert. Ihr heutiges Gesicht erhielt sie im 12. Jahrhundert: ein einziges, sehr rustikales Schiff mit Apsis. Darunter befindet sich die Krypta mit Brunnen. Der Dachkranz trägt Schießschaften und Maschikulis. Über dem Chor sitzt ein Verteidigungs- und Beobachtungsturm mit Aufenthaltsräumen für die Wachtmannschaft mit entsprechendem Waffenlager. Seinen Kern bildet die 'Hohe Kapelle' mit den Reliquien der heiligen Marien. Die Krypta erhielt erst 1349 ihre jetzige Form. ... Diente der Donjon von St-Honorat zum Schutz und zur Verteidigung der Mönche, so hatte die Kirchenfeste Saintes-Maries andere Aufgaben. Neben dem Schutz der Bevölkerung des Ortes und der näheren Camargue bestand die Hauptaufgabe der Wachtmannschaft aber im Schutz der Reliquie, einer damals wichtigen Pflicht, der wir bei vielen anderen Kirchen wieder begegnen." (121)
Mont Saint-Michel<br>
Die Inselfestung Mont Saint-Michel haben die Engländer trotz wiederholter und ausdauernder Belagerung nie erobert. Sie konnten sich zwar auf der ca. 3 km nördlich gelegenen Insel Tombelaine festsetzen konnten. Jahrhunderte lange Arbeit unter Einbindung der natürlichen Felsen wurde eine uneinnehmbare Festung geschaffen. "Wie am Donjon St-Honorat durch Übereinanderlegen all das untergebracht werden konnte, was sonst in den Klöstern nebeneinader lag, am Mont Saint-Michel hat dieses System letzte Vollendung erlangt. So grandios die hohen Wehrmauern sind und mit dem natürlichen Felsen eine Einheit bilden, hier stehen die Kirchen- und Klostereinrichtungen im Vordergrund. Neben dem hohen Dom liegen drei Stockwerke mit dem Kapitelsaal, Speisesälen, Vorratskellern übereinander und - einmalig - ein vollständiger Kreuzgang auf dem Dach des Rittersaals. Der Garten im Hof des Kreuzgangs ist nicht einmal so verblüffend wie die Konstruktion der Wandelgänge, die durch viele sinnreiche Kniffe so leicht wie möglich gehalten wurden." (122)
"Die Beispiele zeigen Höhepunkte kirchlicher Wehrarchitektur. Sie beweisen, daß es sich nicht immer nur um Anbauten handelte, zu denen bitterste Not zwang. Hier entstand aus dieser Not eigene Bauformen, die Wehrhaftigkeit mit religiösen Aufgaben in Einklang brachten." (122)
Die [[Wehrkirchen]] um [[Metz]] "besitzen heute die unterschiedlichsten Verteidigungsmerkmale: fester [[Turm]], [[Schießkarten]] für [[Kanonen]]. Bezeichnend ist, daß in jedem Fall die Kirche selbst befestigt ist, auch wenn, wie in [[Lessy]] sie zusätzlich eine Mauer schützt." (126)




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* Gekrönte mit Pinienzapfen = ernten die Früchte des Paradieses = ewiges Leben (79)
* Gekrönte mit Pinienzapfen = ernten die Früchte des Paradieses = ewiges Leben (79)
* Adler alleine = Auferstehungnssymbol (90)
* Adler alleine = Auferstehungnssymbol (90)
=== Eva Licht: Ottonische und frühromanische Kapitelle in Deutschland (1935) ===
Eva Licht: Ottonische und frühromanische Kapitelle in Deutschland. (phil. Dissertation) Magdeburg 1935.
"Die ottonische Kunst übernimmt von der karolingischen die Aufgabe, die Einschmelzung des antiken Erbes zu vollenden. Sie tut es, indem sie nicht die Formen der Antike sinnlos nachahmt, wie es in der karolingischen Kunst aus Scheu vor dem Fremden und damit Heiligen oft geschehen ist, sondern indem sie die antiken Formen umbildet zu einer archaischer Monumentalität." (7)
"Es ist Aufgabe des Kapitells, zwischen dem aufsteigenden Rund der Säule und dem lastenden Rechteck des Gebälks (bzw. dem Quadrat des Arkadenfußes) zu vermitteln. Die Lösungen, die man dafür gefunden hat, sind sehr verschiedener Art." (7)
"Die in Deutschland erhaltenen karolingischen Kapitelle lassen sich ohne Mühe in zwei große Gruppen teilen, zu denen sich noch einige Einzelstücke gesellen, die man von anderen, vornehmlich außerdeutschen Anregungen ableiten kann. Die erste Gruppe befindet sich an den Bauten, die von Karl dem Großen selbst veranlaßt waren, in [[Aachen]], [[Lorsch]] und [[Nymwegen]]. Anzuschließen ist ein Kapitell aus St. Michael in [[Fulda]] und ein kleines Kapitell aus dem Fuldaer Dom, das sich jetzt im Museum in [[Marburg]] befindet. Es ist die Gruppe, auf die der höfische Stil den meisten Einfluß hatte, die also eine starke antikisierende Richtung haben. Man könnte sie in die Parallel setzen zu der Miniaturenwerkstatt, die wir als Palastschule bezeichnen, und in der ebenfalls das antike Vorbild eine große Rolle spielt. - Die 2. Gruppe ... sind dies die Stücke aus [[Hersfeld]], [[Fulda]], [[Johannisberg]], [[Schlüchtern]], [[Seligenstadt]] an die eventuell anzuschließen sind die Kapitelle von [[Unterregenbach]] in Württemberg. - In diese Gruppe lassen sich nicht einordnen: die Pilasterkapitelle des Westbaues von St. Castor in [[Koblenz]], die Westwerkkapitelle von [[Corvey]], zwei Kapitelle im Baseler Historischen Museum, die von dem dortigen karolingischen Dom stammen sollen und ferner zwei Bruchstücke aus [[Halbsäulenkapitell]]en in [[Prüm]]." (12)
"Die Kapitelle des Westbaues von St. Castor in Koblenz knüpfen am meisten von allen karolingischen Kapitellen an Vergangenes, an den merowingischen Stil an". (12)
"Merkwürdige und sehr eigenwillige Umbildungen sind die Kapitelle, die man in [[Lorsch]] bei den Ausgrabungen gefunden hat. Sie zeigen kaum Anlehnung an den Typ des karolingischen oder kompositen Kapitells; ganz hohe und schlanke Blätter sind dem Kern in völlig unorganischer Weise aufgelegt, in ihrer Anordnung sind also wohl noch Erinnerungen an merowingische Kompositionspprinzipien lebendig." (15)
"Die frühesten Würfelkapitelle im Abendland kommen in Deutschland vor (einschließlich holländischer und schweizerischer Grenzgebiete), wo sie sofort sehr häufig auftreten. Etwas später trifft man das Würfelkapitell auch in der Normandie und in England (ungefähr von  1070 ab)." (77)
"Das Würfelkapitell gehört nicht zum französisch-cluniazensichen Bauprogramm, sondern wird erst in Deutschland mit ihm in Zusammenhang gebracht. Da der orientalische Einfluß in der spätottonischen Kunst Deutschland überall deutlich zu verfolgen ist, besteht die Möglichkeit, daß durch ihn auch das Würfelkapitell Eingang gefunden hat." (78)
"Die Anfänge des tektonischen Kapitells überhaupt liegen in Deutschland um und nach 900." (79)
"Die ersten voll ausgebildeten Würfelkapitelle in Deuschland sind die in Limburg/Haardt und in der [[Krypta]] des Doms von [[Speyer]]." (83)
"Der Elsaß wurde im ganzen von Deutschland aus reformiert und so erklärt es sich, daß die Bauten aus der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts ausschließlich Würfelkapitelle haben. Es handelt sich umm die vier Bauten [[Weißenburg]], [[Surburg]], [[Hattstatt]] und [[Ottmarsheim]]." (85)


== Anhang ==
== Anhang ==

Aktuelle Version vom 7. Oktober 2019, 08:35 Uhr

Architektur

Günter Bandmann: Mittelalterliche Architektur als Bedeutungsträger (1985)

Günter Bandmann: Mittelalterliche Architektur als Bedeutungsträger. 8. Auflage. Berlin 1985. (Gebr. Mann Verlag]

Bernhard von Clairvaux: "Durch die heiligen Worte werden meinem Empfinden nach unsere Seelen andachtsvoller und leidenschaftlicher zu der Glut der Liebe hingezogen, wenn sie gesungen, als wenn das nicht der Fall wäre. Wenn ich mich der Tränen erinnere, die ich bei den Gesängen in der Kirche vergossen habe, und auch jetzt bedenke, daß nicht der Gesang es ist, der mich bewegt, sondern die Dinge, die gesungen werden mit klarer Stimme und entsprechender Melodik, da kommt mir der Nutzen dieser Einrichtung wiederum deutlich zum Bewußtsein. Und doch muß ich, wenn es mir zustößt, dass ich durch den Gesang mehr bewegt werde als durch das Gesungene, mich einer schweren Sünde schuldig bekennen, und ich wünschte in solchem Falle, lieber keinen Sänger zu hören." (19)

"Die Bezeichnung der Bedeutung genügt, die Identität mit dem Vorbild zu charakterisieren. Auf totale formale Kopie stoßen wir erst in historischen Epochen. Erst bei Bewußtsein der zeitlichen Distanz verselbständigt sich das Bauwerk der Vergangenheit auch ästhetisch. Besonders deutlich wird dieses Phänomen bei Bauwerken, die nachweislich das heilige Grab in Jerusalem nachahmten. Während die Bauten des 8. bis 13. Jahrhunderts vom Vorbild und auch untereinander stark abweichen und ganz der Formensprache ihrer Zeit hingegeben sind, beginnt man im 16. Jahrhundert, die heiligen Gräber in fabelhafter und orientalisch anmutenden Formen zu errichten, die das Vorbild als gesehenes Ganzes bezeichnen möchten." (49)

"Auch im übrigen Kirchenbau machen sich in dieser Zeit historisierende Tendenzen bemerkbar. Die Jesuiten knüpften während der Gegenreformation im norddeutschen Kampfgebiet an romanische und gotische Formen an, da mit ihnen der wiederherzustellende Geist des Universalismus verknüpft zu sein schien. In Bayern, wo diese Kampfstellung nicht eingenommen zu werden brauchte, bauten die Jesuiten frei in der Art des von Il Gesù in Rom ausgehenden Barock ohne historisierende Neigung. Immerhin sind auch hier in Bezug auf den Grundriß (Kreuzförmigkeit, Doppelchöre) erstaunliche Rückgriffe zu beobachten." (49)

"Diese von Hyronymus, Origines auf das Christentum angewandte Geschichtsbild gründet sich auf das hellenstische Einteilungsprinzip des Claudius Ptolomäus von den vier Weltmonarchien, der assyrisch-babylonischen, der medisch-persischen, der griechisch-mazedonischen und der römischen, die bis zum Weltgericht, dem Beginn des himmlischen Reiches währen sollte. 'Quando cadet Roma, cadet et mundus.' Noch im 13. Jahrhundert fühlte man sich in dieser Kontinuität, im vierten, dem römischen Weltreich lebend." (51)

"Neben den besprochenen Fakten nehmen in den schriftlichen Quellen vor allen Nachrichten über den Verwendungszweck der einzelnen Bauteile einen weiten Raum ein. Wir hören von der Aufstellung der Altäre, von den Stellen in Kirchengebäuden, die als Grablegen bevorzugt werden, von den Sakristeien und Taufkapellen, wir wissen von den Verwendungszwecken des Atriums, der Querhäuser, der Pastophrien, von den Handlungen, die im Westteil der Kirche stattfanden, von den Funktionen der Türme. Zweifellos spiegelt sich die liturgische Verwendung der Raumteile in der Grundrißanordnung deutlich wider, und es hat auch nicht an Versuchen gefehlt, die typische Lösungen des mittelalterlichen Kirchenbaus von hier aus verständlich zu machen." (54)

J. Sauer: "Symbol ist nichts anderes als ein Bild zur Darstellung eines Gedankens oder einer Tatsache, die nicht notwendig und ohne weiteres aus dem Begriff jenes Bildes sich ergeben." Daher müssen Symbole immer interpretiert werden. (61) Dies wird an den Verkehrszeichen deutlich.

"Die Stützen der Kirche personifizieren die Apostel und Propheten, die das Gebäude, den Gottesstaat tragen. Da für die Christen das Bauwerk ein Gleichnis für die aus lebendigen Gliedern bestehende ecclesia ist, nehmen auch die Säulen anthropomorphe Bedeutung an. Christus wird im Schlußstein erkannt, der das Bauwerk krönt und zusammenhält. Die Gemeinde ist nicht 'Gast oder Fremdling in diesen Gebäuden, sondern Bürger mit den Heiligen und Gottes Hausgenossen.'" (65)

Kunst als Bedeutungsträger (Gedenkschrift für Günter Bandmann) (1978)

"Diese Sammlung von Aufsätzen sollte ein Festschrift werden. Im Herbst 1974 schien es uns eine selbstverständliche Verpflichtung zu sein, weine Festgabe zu planen, die Günter Bandmann zu seinem 60. Geburtstag - er wäre am 10. September 1977 sechzig geworden - zugedacht war. Verbundenheit und Dank sollten durch Beiträge bezeugt werden, die sich in dieser oder jener Form den Interessen und Forschungsgebieten Bandmanns zuordneten. Nach dem viel zu frühen Tode Bandmanns am 24. Februar 1975 wandelte sich die Festschrift zur Gedenkschrift - als ein Zeugnis für den Verlust, der die deutsche Kunstgeschcihte betraf, und zugleich als ein Zeichen, daß viele in sehr verschiedener Weise das Gespräch um Probleme weiterführen wollen, deren Erhellung gerade Bandmann entscheidende Impulse verdankt." (XI[1]

Franz Rademacher: Zur Symbolik des Drachens im Mittelalter.

[2] "Der Drache zählt zu den Fabelwesen und ist, wie eine Reihe anderer mittelalterlicher Ungeheuer, ein Mischwesen. Daher ist er nicht immer leicht von anderen Tieren zu unterscheiden. Dies gilt vor allem gegenüber der Schlange und dem Basilisken. Ohne Beine und Flügel läßt sich der Drache von der Schlange, als deren 'Sproß' er sich in den Acta Thomae bezeichnet, meist nur an dem ziemlich ausgeprägten Drachenkopf unterscheiden. Und vom Basilisken, der gleichfalls ein Fabel- und Mischwesen ist, trennt ihn namentlich dessen Vogelkopf mit hahnenförmigem Kamm." (61)

"In seiner Deutung ist der Drache zwiespältig. In der Volksmeinung galt das Drachenungeheuer, das die Phantasie des mittelalterlichen Menschen als ein real gedachtes Wesen aufs lebhaftigste beschäftigte, meist als das Untier schlechthin, als die Verkörperung alles Bösen und Unheilvollen. Heldenhafte Drachenkämpfer spielen in heignischen Mythen, Sagen und Legenden zahlreicher Völker eine besondere Rolle. In der christlichen Kunst tritt an deren Stelle vor allem der Erzengel Michael, der Drachenbezwinger und Seelengeleiter. In hartem Kampf besiegt er mit seinem Engelgefolge den apokalyptischen Drachen." (Offb 12,9) (61)

"Für die Kirche war der Drache die Inkarnation des Dämonischen, des Sündhaften und Teuflischen, gegen dessen Einfluß anzukämpfen die immerwährende Auseinandersetzung des Guten mit dem Bösen, des Lichtes mit der Finsternis bedeutet." (61)

"Viele Heilige hatten nach der Legende in ihrem Leben harte Kämpfe mit dem Drachen, gleich dem Teufel, dem Antichristi, dem Symbol des Heidentums zu bestehen. Sie sind die Vorbilder für die Gläubigen, die nur in ständigem geistigem Kampf mit der Macht des Bösen den Lohn des ewigen Lebens erringen können." (62)

"Nach der Anschauung des von dämonischen Mächten sich ständig bedroht fühlenden Menschen des Mittelalters gab es einen Ort, der dem Eindringen böser Geister besonders ausgesetzt war, nämlich das Dach eines Gebäudes, sei es eines Hauses, eines Speichers, eines Turmes oder einer Kirche. Das Dach, bzw. die Zone zwischen Baukörper und Dach, oder das Dachgesims galt daher als besonders schutzbedürftig, was die Menschen seit alters zu Abwehrmaßnahmen gegen böse Mächte gerade an diesen gefährdeten Stellen veranlaßte. Masken mannigfachster Art, ferner Tiere bzw. Tierköpfe übernahmen vorwiegend diese apotropäische Schutzfunktion. Unter den Tieren spielt hierbei der Drache eine bevorzugte Rolle. In den fratzenhaften Wassersepeiern gotischer Kathedralen, die häufig Drachen und Teufel sowie ähnliche Monstren wiedergeben, ist diese Vorstellung durchaus noch lebendig, und im Volksglauben und in der Volkskunst vieler Länder lebt sie bis heute fort." (63)

"Am eindruckvollsten treten uns Kirchenbauten, die durch Drachen gegen das Eindringen von Dämonen geschützt werden, in den norwegischen Stabkirchen romanischer Zeit entgegen. Sie sind bedeutende Zeugnisse einer eigenschöpferischen germanischen Holzbaukunst. Bei Ihnen kommt der apotrophäische Charakter der in den Köpfen der Drachen gesammelten Abwehrkraft am reinsten zum Ausdruck." (63)
Borgund : https://www.openstreetmap.org/#map=16/61.0466/7.8125
Fortun : https://www.openstreetmap.org/#map=17/61.49315/7.68665
Fantoft : https://www.openstreetmap.org/#map=16/60.3529/5.3572
Hopperstad : https://www.openstreetmap.org/#map=17/61.07748/6.56906

Erika Doberer: Romanische Figurenfriese und ihre ehemaligen Bildträger

Erika Doberer: Romanische Figurenfriese und ihre ehemaligen Bildträger. In: Werner Busch, Reiner Haussherr, Eduard Trier (Hg.): Dunst als Bedeutungsträger. Gedenkschrift für Günter Bandmann. Berlin 1978, 77-94.

"In seiner richtungsweisenden Interpretation der mittelalterlichen Sakralarchitektur hat Günter Bandmann besonders auf die schrankenartigen Einbauten an der ursprünglichen Grenze des liturgischen Chores hingewiesen und ihre wesentliche Bestimmung als sakrale Bildträger hervorgehoben, die aus ihrer primären Funktion der radikalen Raumschneidung zwischen Klerus und Laienschaft erwachsen ist. An der Front des abgeschrankten Bereiches der einst dem Chorgebet diente und gleichsam eine 'Kirche in der Kirche' bildet, bot der hochmittelalterliche, mit Kreuzalaltar und Trimphkreuz verbundene Lettner einst seine gegliederte Schauseite, zumeist mit figuraler Ausstattung, den Blicken der versammelten Laien dar. Das Programm der polychromierten Reliefbildwerke, die den später zerstörten Einbauten, den romanischen Steinlettnern sowie ihren gotischen Nachfolgern angehörten, entsprach vor allem dem Inhalt des gesungenen, eben von der Lettnerbühne aus verkündeten Wortes, umfaßte also wichtige Ereignisse der Heilsgeschichte, die jeweils in verschiedenen, entweder typologisch oder neutestamentarisch ausgerichteten Zyklen szenisch dargestellt wurden." (77)

"Bei der nachmittelalterlichen Erneuerung des Kircheninnern kam es auf dem europäischen Kontinent fast überall zur bewußten Zerstörung der übermannshohen, den Raumeindruck blockierenden Einbauten, von welcher besonders die romanischen Lettner und Schranken betroffen waren;" (77)

"In den Schriftquellen scheint die nachmittelalterliche Wiederverwendung von Lettnerfragmenten nur selten auf; wahrscheinlich vollzogen sich derartige Maßnahmen zumeist nach improvisierten, teilweise lokal bedingten Beschlüssen, deren Inhalt ja auf die Beschaffenheit des jeweils vorhandenen Baudenkmals abgestimmt sein mußte. In dieser Hinsicht erweisen sich einige tridentinische Konzilsbestimmungen als bezeichnende Äußerungen, in denen die kirchliche Auseinandersetzung mit dem damals aktuellen Schicksal derartiger Bruchstücke zum Ausdruck kommt. Im Zusammenhang mit der Restaurierung von Kirchen wird in Tridentinum für den Fall eines Abbruchs festgelegt, daß die 'usus sordidi' solcher Fragmente, als eine mißbäuchliche Verwendung sakraler Werkstücke, zu vermeiden sei." (78) (Tridentinum, 21. Sitzung, Kapitel 7)

"Von manchen Reliefplatten abgehobener Lettnerbrüstungen wissen wir heute schon, daß sie mit ihren glatten Rückseiten auf den Fußboden der Kirche eine bescheidene Verwendung fanden, welcher wir aber die spätere Auffindung hervorragender Bildwerke, wie jene vom Jubé der Kathedrale von Chartres, verdanken." (80)

In St. Gilles wurden die Platten des romanischen Lettners in das Westportal eingearbeitet. (84)

F - Beaucaire : https://www.openstreetmap.org/#map=18/43.80811/4.64356
F - Tarascon : https://www.openstreetmap.org/#map=17/43.80558/4.65588 F - Tarascon : https://www.openstreetmap.org/#map=17/43.80511/4.66041 I - Modena : https://www.openstreetmap.org/#map=17/44.64630/10.92552

Wolfgang Braunfels: Abendländische Klosterbaukunst (1969)

Wolfgang Braunfels: Abendländische Klosterbaukunst. Köln 1969. (DuMont)

Der hl. Augustinus ordnete an: "Wenn ihr zu Tische geht, so hört, bis ihr wieder aufsteht den üblichen Lesungen ohne Geräusch und ohne Streiten an; denn nicht bloß mit dem Munde sollt ihr Nahrung zu euch nehmen, sondern auch eure Ohren sollen hungrig sein nach dem Worte Gottes." (16)

"Die Zahl der Mönche in jedem Kloster wollte Benedikt überschaubar halten. Man rechnet mit etwa 150 in den letzten Jahren seiner Tätigkeit in Monte Cassino. Die Riesenklöster des Ostens mit bis zu 3000 Mönchen lehnte er ab. Der lateinische Begriff der Familie sollte auch für das Kloster gelten. Der Abbas als Vater sollte alle Mitglieder genau kennen und lenken." (38)

"Der Plan von St. Gallen ist ein Werk des Mittelalters, nicht der Spätantike. Seine Gestalt wird durch die besonderen Aufgaben bedingt, die das fränkische Königtum den Klöstern übertrug. Die Mönche, die aus der Welt geflohen waren, erhielten durch die Germanenfürsten neue Pflichten in eben dieser Welt. Sie sahen sich gezwungen, neue Bauorganismen zu entwickeln, die die Erfüllung ihrer neuen Kulturaufgaben möglich machten. Die Klöster wurden zu Zentren der landwirtschaftlichen Versorgung, Etappenstationen der Verteidigung, Gasthäuser auf den Wegen des reisenden Hofes; sie wurden Schulen, Kanzleien, Forschungsstätten und Stützpunkte der Mission. Die Abtstellen in vielen Klöstern waren politische Ämter und zuweilen von höherem Rang als jene von Bischöfen oder Grafen. Das ganze Kloster entwickelte sich zu einer politischen Institution." (40)

"Die vielfachen Aufgaben, welche die Frankenkönige in wachsenden Ausmaßen den Klöstern übertrugen, verursachten eine Wachstumsbewegung dieser Institution. Die Klöster wurden reicher, größer und mächtiger. Karl der Große konnte dem ersten Gelehrten seines Reiches, ALKUIN, mit dem Nationalheiligtum der Franken in Tours einen Klosterstaat übergeben, in dem 20.000 Menschen wohnten. Diese Riesenklöster entsprachen keineswegs den Vorschriften Benedikts. In Tours zog man deshalb auch wenige Jahre nach Alkuins Tod die Konsequenz und führte die freieren Lebensformen der Kanoniker ein. Nie zuvor auf dem Kontinent und nur selten später, lebten in den Benediktinerklöster so zahlreiche Mönche, die meisten von ihnen nicht aus persönlicher Neigung, vielmehr auf Befehl ihrer Herren; sehr viele auch als gefangene Gegner der Könige, wie // Tassilo von Bayern oder der Langobardenkönig Desiderius. Gleich Soldaten wurden Mönche aufgeboten, gleich Sklaven und Hörigen wurden sie gekauft; wo immer es dienlich schien, konnt man zum Mönchstum verurteilt werden. ... ANGILBERT benötigte für den Betrieb seines Klosters Centula bei Abbeville 300 Mönche und 100 Klosterschüler, ADALHARD, ein Vetter Karls des Großen, für Corbie 300 Mönche und 150 Klosterknechte." (43f)

"802 wurde Radger zum Nachfolger Baugulfs gewählt - der Baumeister wurde zum Abt. Erst jetzt scheint er das Ausmaß seiner Pläne enthüllt zu haben, der ganze Konvent mußte seiner Bauleidenschaft dienen. Mehrmals haben sich die Mönche bei Karl dem Großen beschwert, sie seien zum Gottesdienst und zum Studium, nicht aber als Bauhandwerker in das Kloster eingetreten." (46)

"Saint-Riquier war ein Kloster, dessen Blüte mit der Übernahme seiner Leitung durch ANGILBERT eingesetzt hatte. nach dessen Tod in der Abtszeit seines Sohnes Nithart, des großen Historikers, der ein Enkel des Kaisers war, sich noch fortgewirkt hat, das sich jedoch von der Normannenzerstörung nie mehr ganz erholen konnte." (48)

"Corbie - so nimmt man an - wurde dem König Desiderius der Langobarden von Karl dem Großen 774 als Gefängnis zugewiesen." (48)

"Unter den Klöstern des 10. und 11. Jahrhunderts ragte eines über alle andere hinaus und erhob sich zielstrebig zur Hauptstadt eines Klosterreiches: das burgundische Cluny. Dieses größte Kloster, das je im Abendland erbaut worden ist, beherrschte im 12. Jh. rund 1500 Abteien und Priorate in allen Teilen Europas. Unter der Führung von Cluny trat an die Stelle vieler und mächtiger Einzelabteien ein zentralisierter Mönchsstaat. Seine Äbte, unter ihnen vier große, weise, ja geniale Mönchsführer, stiegen zu Mönchsfürsten auf. Mit Königen verglichen ihre Gegner sie spättisch; Groß-Äbte möchte man sie nennen. Vor ihnen, nicht vor dem eigenen Abt, legten die Brüder zahlreicher Klöster ihre Gelübde ab; Ratgeber und Richter waren sie nicht nur in den Klöstern, die sich ihrer Reformen angeschlossen hatten, sondern ebenso im weltlichen Bereich. Kaiser, Päpste, Könige kaen um ihren Schiedsspruch ein." (66)

"Die Geschichte Clunys liest sich wie die Geschichte des Aufstiegs einer Kleinstadt zur Großmacht. Es gab in ihrem vom Beginn des 10. Jahrhunderts bis zur Mitte des 12. nur unbedeutende Rückschläge. Wilhelm von Aquitanien hatte 909 einen Gutshof mit einer Kapelle im Tal der Grosne, einem Nebenfluß der Saône, für den Neubau eines Klosters gestiftet. Die neue Gründung sollte weder dem Bischof, noch dem Herzog, vielmehr allein dem Papst unterstehen. Doch waren die Päpste des 10. und frühen 11. Jahrhunderts nicht in der Lage, die Mönchskirche zu führen und zu schützen. Umgekehrt wurden die Mönche bald Führer des Papsttums. Die Verbundenheit mit Rom bezeugten die Kluniazenser auch dadurch, daß sie fast alle ihre Kirchenbauten dem hl. Petrus weihten, während später die Zisterzienser ihre Frömmigkeitshaltung mit der Weihe aller ihrer Kirchen an die Madonna Ausdruck gaben." (67)

Cluny: "Schon aus dem 12. Jahrhundert haben wir Bericht, daß bis zu 1200 Patres und Brüder in den Schlaf- und Eßsälen Unterkunft finden konnten. Die Kirche fasste Tausende." (68)

"Die 'neuen Töne' der Kapitelle im Chor der neuen Abteikirche von Cluny sind das sublimste Werk der monastischen Skulptur des Mittelalters. Die neue Romanik der Kluniazenser, die später der HL. BERNHRAD bekämpft hat, wird man deutlicher anhand der Skulpturenprogramme der Portale und Kreuzgänge des Abtes Durand de Bretons (1048-1072) Abt von Moissac) und seiner Nachfolger ablesen können. Es sind die Meisterwerke jenes romanischen Espressionismus, in dem sich Motive aus der Kunst der Vorgeschichte mit antik-römschen Bildhauertraditionen vereinen. ... In St. Sernin und La Daurade in Toulouse wie in Moissac sind bald nach 1100 jene Folgen von Bildhauerwerken entstanden, die man zusammensehen muß. Sie stehen am Anfang der skulpierten Welt- und Heilsdeutung der Kreuzgägng, die sich in den katalonischen und südfranzösischen Klöstern lins und rechts der Pyrenäen zusammendrängen. Eine Karte dieser Klöster würde zweigen, wie dicht sie nebeneinander liegen. In Moissac hat sich jenes monumentale Eingangsportal erhalten, welches als erstes den neuen Gedanken von Cluny übernahm, eine Apsiskomposition, nämlich die Erscheinung Christi zwischen den vier Wesen über den vierundzwanzig Ältesten, in das Relief zu übertragen und wie auf einem großen Fächer über den Türsturz auszubreten. Diese Übertragung der Majestas Domini von dem Endpunkt der Pilgerfahrt durch das Kirchenschiff an ihren Anfang, setzt eine theologische Umdeutung des Sinnes des Kirchengebäudes voraus, die von Cluny ausgegangen ist. Wichtiger in diesem Zusammenhang ist die Gestaltung der Kreuzgänge von Moissac, La Daurade und St. Sernin. In den letzteren erhielten die Kapitelsäle, die vom Kreuzgang aus betreten wurden, ein Figurenportal, wie wir es sonst nur bei den Kirchen antreffen. In St. Sernin werden dort die zwölf Apostel dargestellt." (109)

Die Darstellungen der 12 Apostel im 12. Jh. erinnern daran, dass sich der Ursprung des Kreuzgangs vom Tempel Salomons ableitet, "in der sich die Apostel nach den Act.Apost. 4 zum ersten Male zu einer vita communis vereinigt hatten." (110)

"Man darf annehmen, daß auch in Moissac die Gewände des Portals zu diesem Raum ein bildkünstlerisches Programm enthielten. An den Pfeilern waren im Kreuzgang die zwölf Apostel in ähnlichen Reliefs dargestellt, nur neuen blieben erhalten. Die Kapitelle der Säulen enthielten eine ganze Enzyklopädie von Szenen und Figuren des Alten und Neuen Testaments, sowie den Taten und Leiden der Heiligen. Der Kreuzgang wurde durch sie zu einem Ort der Belehrung und der Betrachtung, eine hochgemute Festlichkeit und Feierlichkeit zog mit den farbigen Reliefs in dieses Atrium des Mönchshauses ein, die das Selbstverständnis und die Selbstachtung des Kluniazenser Beneditinertums kennzeichnet. Man geht kaum fehl in der Annahme, daß hier das Zeitalter die oberste Stufe seiner 'Wohnkultur' erreicht hat. Man bewegt sich in einem durchaus von Kunstwerken umschlossenen Bezirk." (110)

"Den Gegenpol zu Cluny in der Welt des 12. Jahrhunderts bildete Citeaux. Es stellt den Versuch dar, das benediktinische Mönchstum den weltlichen Aufgaben zu entziehen, die im Lauf der Geschichte zugefallen waren. Wie kann der Mönch einer Welt entfliehen, die zu einem guten Teil von Mönchen geführt und beherrscht wurde? Kann der Einzelne dem Ideal der Armut leben, wenn die Klostergemeinschaft als Ganzes unermeßlich reich geworden ist? ... Die Wirklichkeit trat in Widerspruch zur Idealität der Theorie. Auch die Zistenzienser sollten es im Laufe ihrer eigenen Geschichte erneut erfahren. Sie waren in Einsamkeiten und Wüsteneien gezogen doch ihr Arbeitsethos hatte die einsamen Täler und Sümpfe reich gemacht. Nachdem es zu Beginn des 13. Jahrhunderts offenbar wurde, daß selbst ihnen das Geschenk der Armut nicht erhalten blieb, weil es mit dem Gebot zur Arbeit nicht vereinbar war, wollte der HL. FRANZ lieber auf die Arbeit als auf die Armut verzichten." (111)

Weil sich das Leben als Zisterzienser täglich nach genau den gleichen Gesetzen abspielen sollte, "mußten theoretisch auch alle ihre Klöster gleich aussehen. Praktisch wurden die meisten von ihnen in ihren Grundformen ähnlich gestaltet. Allein für die Zisterzienser ließ sich deshalb ein verbindliches Klosterschema aufstellen, im Vergleich zu dem alle ausgeführten Klöster Variationen bilden. In ihm findet die Entwicklung des mittelalterlichen Benediktinerklosters ihren Höhepunkt und ihren Abschluß. Es ist der Rationalismus dieser Architektur, der unserem Bild von romanischer Baukunst einen neuen Akzent verleiht." (113)

"Bernhards unbegrenzte geistige Macht vermochte sein Jahrhundert in das Zeitalter der weißen Mönche zu verwandeln. Sie haben alle Einsamkeiten Europas von Irland bis an die Grenzen des russischen Reiches nach Pflanzstätten für neue Klöster abgesucht. 69 Klöster sandten ihre Äbte zum Generalkapitel von 1133; 343 gab es beim Tode Bernhards und 742 am Ausgang des Mittelalters, wozu noch die 761 Frauenklöster kommen, welche lokalisiert werden konnten. Von den Männerniederlassungen waren 525 im 12. Jahrhundert entstanden und 169 im 13. Dann ebbte die Bewegung ab. Im 14. Jahrhundert waren es nur mehr 18, im 15. 20, von denen die meisten im Gebiet der heutigen Niederlande liegen. Im ganzen besaß Frankreich 246 Mönchsniederlassungen, England 76, Schottland 13, Irland 41. In Italien gab es 95 Zisterzienserklöster, in Spanien 59, in Portugal 13, im Bereich Belgiens 18 und in Holland 14. Die Kreuzritter hatten in Griechenland und dem heiligen Land 15 gegründet. In Deutschland und den anschließenden slawischen Bereichen lagen über 100." (113)

"Bedingungsloser Lebenseinsatz kennzeichnet den Geist der neuen Stiftungen im Leeren. Die Askese der Mönche hat ihre Lebenserwartungen auf 28 Jahre herabsinken lassen. Bedenkt man, daß dieses Jugennd nie vor dem 15. Lebensjahr, oft erst mit dem 21., wie der hl. Bernhard, ins Kloster ging, so ergibt sich, dass Zisterzienseraskese im Durchschnitt nur rund ein Dutzend Jahre auszuhalten war. Bei der Aufnahme in Clairvaux sagte der HL. BERNHARD den Novizen: 'Wenn ihr es eilig hat, verinnerlichte Menschen zu werden, dann laßt Eure Körper draußen. Hier treten nur die Seelen ein. Das Fleisch dient zu nichts.' Dennoch lebten 1148 in Clairvaux, der Hauptstadt des Zisterzienserstaates, rund 700 Mönche und Konversen, mehr als in Cluny je gewohnt haben. Man fragt sich, wo der verwegene Idealsinn wirksam wurde, in den Kreuzzügen der Ritter oder den Klostergründungen der Mönche. Beides gehört zusammen und beides ist Frucht der gleichen erregenden Jahrzehnte. BERNHARD hat sich selbst als die 'Chimäre des Jahrhunderts' bezeichnet, halb Mönch und halb Ritter." (114)

Noch bevor Konrad III. 1147 zum Kreuzzug nach Jerusalem aufbrach, schrieb er im 7. Buch seiner "Chronica sive Historia de duabus Civitatibus": "Wegen der Menge unserer Sünden und wegen der stinkenden Sündhaftigkeit dieser höchst unruhevollen Zeit glauben wir, daß die Welt nicht mehr lange Bestand haben kann, würde sie nicht durch die Verdienste der Mönche, der wahren Bürger des Gottesstaates, erhalten, deren mannigfaltige, wohlgeordnete Bruderschaften in der ganzen Welt in großer Zahl in Blüte stehen." Und weiter: "Sie leben im Diesseites im Verborgenen, tragen kein Verlangen danach, daß ihr Ruhm erstrahle, führen schon auf Erden ein Leben in himmlischer, engelhafter Reinheit. ... Sie leben in Gemeinschaft, legen sich gleichzeitig schlafen, stehen einmütig auf zum Gebet, nehmen gemeinsam in einem Raum die Mahlzeiten ein, und Tag und Nacht beschäftigen sie sich mit Beten, Lesen, Arbeiten." (116)

"Ein Autor des 12. Jahrhunderts, ORDERICUS VITALIS, bezeugt, daß 'alle Klöster der Zisterzienser in der Einsamkeit und inmitten von Wäldern errichtet worden sind, und daß sie die Mönche mit den eigenen Händen erbauten' (Hist. Eccl., PL 118, col. 641). Doch wo immer wir Einzelheiten wissen, ergibt sich, daß viele der leitenden Baumeister und die Masse der Handwerker von außen kamen." (129)

"Wie baut man ein kleineres Kloster zu einem größeren um, wie macht man schlichte Holztrakte in Steinsäle um, ohne den Tagesablauf nach der Regel zu stören? Vergegenwärtigt man sich beispielsweise die Baugeschichte von Maulbronn zwischen 147, dem Datum der Verlegung des Klosters an den heutigen Ort, und dem Ausgang des 13. Jahrhunderts, ja weit ins 14. hinein, so wurde an Kirche oder Klausurgebäude durch Jahrzehnte hindurch immer wieder und stets von neuem gebaut. Man weiß gerade hier, daß die meisten Architekten und Bauleute Fremde waren. Man muß dennoch annehmen, daß auch Mönche und Konversen vorübergehende Notlösungen stets von neuem in Kauf nahmen, um den Kreuzgang und seine Gebäude größer, dauerhafter, klarer zu gestalten. Das Kloster schuf sich das erweiterte Kloster selbst. Nicht von außen nach innen wie spätere Klosteranstalten, von innen nach außen wuchs der Organismus." (130)

"Man sieht, es sind die gleichen Grundgedanken des 12. Jahrhunderts, die nunmehr im 16. Jahrhundert aufgegriffen und ausgesponnen werden. Der Fluß dient und reinigt, bietet sich an und kehrt wieder zurück in die Natur; er wird zum Freund, zum Vorbild und zuletzt zum Sinnbild der Mönche und auch des Mönchstages.
In allen Zisterzienserklöstern hat man dem Wassersystem die größte Aufmerksamkeit zugewandt, seine Geschichte entzieht sich, soweit ich sehe der Erforschbarkeit. Was hier von den Arabern übernommen, was von älteren Erfindungen aufgegriffen und im Laufe des 12. und 13. Jahrhunderts bis hin zum 17. Jahrhundert fortentwickelt wurde, läßt sich schwer aufgliedern. Zur Zisterzienserästhetik gehört die Sauberkeit. Man begegnet ihr in der Verwendung von sorgsam geglätteten Steinen ebenso wie in der Anlage der Waschräume; die Brunnenhäuser vor dem Eingang der Refektorien haben sich zu diesem Zweck zu immer reicheren Gebilden entfaltet. Sie sind Sinnbilder der Bedeutung, die dem Wasser für die Klosterordnung zukommt." (142)

Köln als Beispiel einer Klosterstadt:
1180 umschloss die Stadtmauer von Köln 13 Stifte und Klöster, mit St. Heribert in Deutz waren es sogar 14. Alle waren mit einem Federstrich am 02.06.1802 aufgehoben, einige nach mehr als 1000-jährigem Bestand. Die Stadtmauer von 1180 wurde bis 1791 nie von einem Feind durchbrochen. "Hinter ihren Toren und Türen könnten sich die Stadt und ihre Klöster sicherfühlen. Es schien, als hätte man sich für die Ewigkeit eingerichtet. 600 Jahre lang blieb man ungestört. Doch mußten Stadt und Stifte zu allen Zeiten versuchen, miteinander auszukommen." (203)

Beispiel Regensburg:
"Fast die Hälfte des Bodens gehörte nicht nur privatrechtlich, sondern auch staatsrechtlich bis zur Säkularisation den vier großen kirchlichen Organisationen, die reichsunmittelbar geblieben waren, dem bischöflichen Dombereich, dem Kloster St. Emmeram und den Klöstern Ober- und Niedermünster." (204) Dennoch gelang es den Bürgern seit dem 12. Jh., den Status einer freuen Reichsstadt zu erringen und aufrechtzuerhalten. "Doch hat das Gleichgewicht der Mächte bewirkt, daß nie ein Teil gegen den anderen aufstehen konnte. Das Arrangement hatte höchst mannigfaltige Beziehungen zwischen diesen Klosterstaaten, der Stadt und dem Bischof, zu Zeiten auch dem Herzog des Landes zur Folge. Regensburg ist nicht zuletzt deshalb die schönste mittelalterliche Stadt Deutschlands geworden, die uns erhalten blieb, weil viele dieser Beziehungen als Architektur anschaulich wurden: gabaute Rechtsbezüge und Ansprüche." (205)

"Es gibt eine sehr große Zahl von Beispielen, die zeigen, wie sich aus den Knecht- und Handwerkersiedlungen vor einem auf freiem Feld gelegenen Kloster eine Stadt entwickelt hat, die ihre Rechte gegen jene das Klosters abzugrenzen suchte. Die immer wiederkehrende Situation mach der Grundriß der Abtei und Stadt Saint-Philibert in Turnus veranschaulichen, wo sich die Lage seit dem Ausgang des Mittelalters nicht mehr verändert hat. Das Kloster bildete einen mauerumwehrten Bezirk im Osten, der stark mit Wehrtürmen befestigt war. Die Stadt entfaltete sich im Westen zu einem selbständigen Gemeinwesen. Diese hohen und starken Befestigungsanlagen des Klosters, welche eng die seit weit überragende frühromanische Kirche und die Zone der Stille um den Kreuzgang umschlossen halten, geben Gelegenheit, zwei Architekturmotive durch ihre Gegensätzlichkeit zur Wirkung zu bringen. Der Eindruck wird verstärkt durch die Lage des Mauerrunds an dem breiten Band der Saône, an das sich das Kloster lehnt. Die Wehrarchitektur steigert die Wirkung dieses wehrhaft monumentalen Kirchenbaus eben durch die Begrenzung, in die es ihn eingliedert. Übergeordnete staatliche Mächte sorgten dafür, daß sich seit dem 15. Jh. kein Konfikt mehr entwickeln konnte. Doch blieben die Äbte besorgt, auch die Befestigungsanlagen in Ordnung zu halten." (205)

"St. Gallen ist Denkmal eines Konfliktes, in dessen Verlauf die jüngere Institution der Stadt die ältere des Klosters besiegt hat. Ganz anders sieht es an Plätzen aus, in denen sich ein Kloster aus einer Burg auf einem Felsrücken entwickeln konnte. An ihnen wurde zur Regel, daß das Kloster, wenn immer auch als staatliche Institution fortbestand, die bürgerlichen Siedlungsformen beherrscht hat." (207)

"So blieben Würzburg, Bamberg, Eichstädt, Passau, Freising, auch Chur, allen voran das unvergleichliche Salzburg, bischöfliche Hochstifte. In Köln, Worms, Speyer, Straßburg, Basel, Augsburg siegte das Bürgertum. Es gab auch Städte, in denen Konfliktsituationen eine Reichsstadt und ihren Bischof zu einem Zusammenleben zwangen, das für beide schwierig war. Regensburg ist das bedeutendste Beispiel." (208)

Beispiel Melk:
"Das Klosterdorf und später die Klosterstadt hatten gegenüber dem befestigten Kloster auf dem Burgberg zu keinem Zeitpunkt eine echte Chance besessen. Die Burg war von den Babenbergern nach der Schlacht auf dem Lechfeld mit dem sicheren Blick dieses Zeitalters für die Auszeichnungen der Lage gegründet worden. Leopold I. soll auch innerhalb dieser Burg ein Kanonikerstift errichtet haben. Leopold II. konnte dann seinen Sitz weiter nach Osten auf den kahlen Berg verlagern. Er übergab 1089 den Benediktinern sein altes Schloß. Es hat sich großartig entnwickelt, konnte vielen Belagerungen überstehen, zuletzt auch die Türken von seinen Mauern fernhalten. Zugleich gehört es zu den nicht sehr zahlreichen Klöstern Europas, die nie säkularisiert worden sind. Die Melker Reform von 1418 sicherte dem Kloster in Zeiten des Niedergangs ein neues Jahrhundert der Blüte. Seit dem ausgehenden 16. Jh. haben zahlreiche tatkräftige Äbte die Ökonomie des Klosters uns seine Bauten gefördert, ehe 1702 Abt BERTHOLD DIETMAYR (1700-1733) PRANDTAUER den Auftrag zu jener grandiosen Neugestaltung gab, die wir heute bewundern. Es entstand das bedeutendste Bergkloster der Barockarchitektur." (208)

Beispiel das von dt. Kaisern als Reichskloster errichtete Pomposa:
"Das Kloster reiht sich in den Kranz der Fluchtstädte ein, in die sich vor den nachdrängenden Germanen die römische Restbevölkerung von Ravenna im Süden bis Grado im Norden zu retten suchte. Mit vielen von ihnen gemeinsam hat es jene Atmosphäre des Verlassenseins im Wertlos-Unbewohnbaren bewahrt, die den Niederlassungen zum Schutz gereichte. Die Benediktiner gründeten im 6. Jh. im Delta des Po ein Kloster, dem eine weitausgedehnte Landwirtschaft in Waldrohdungen einige Zukunft versprach. Die erste gesicherte Nachricht besitzen wir freilich erst mit einem Brief von 874 des Papstes Johannes VIII. an Kaiser Ludwig II. Durch die Gunst der Ottonen wurde das Kloster unabhängig. 1054 umschloß seine Herrschaft ein Gebiet zwischen Po, dem Gauro und dem Meer von beträchtlicher Ausdehnung. ... Dieses 11. Jh. war seine Blütezeit. Wahrzeichen seiner Macht wurde der hohe Campanile, der das ganze Staatsgebiet überblickt. Die Kirche konnte mit ungewöhnlichem Kunstaufwand ausgestattet werden. Von den Klostergebäuden sind Kapitelsaal, Refektorium und Reste des Dormitoriums rings um den Kreuzgang erhalten geblieben; er selbst ist zerstört. ... Man weiß, daß die Gesamtanlage von einer hohen Mauer umschlossen wurde, in der auch zahlreiche Gäste- und Wirtschaftsgebäude Raum fanden." (210)

"Das landbeherrschende Kloster ist in Italien eine Seltenheit. Es gehörte zu den Institutionen des kaiserliches Italiens und begleitete seinen Niedergang. Auch Farva, das mächtigste von ihnen, wäre hier zu nennen. Gewiß hat es einige Klöster auf dem Land gegeben, die zeitweise große weltliche Macht gesessen haben. ... Andere konnten als Königsklöster, d.h. als Sitz oder Stiftung von Königen für kürzere Zeiträume bedeutende Rollen im Kulturleben des Landes spielen und ihnen in ihrer Baugestalt Ausdruck geben. Ihre Zahl ist nicht sehr groß. Immerhin reicht sie von Monreale bei Palermo, der Stiftung des Normannenfürsten Wilhelm II. von 1174, bis zur Superga über Turin, die Juvara als Gruftkirche des piemontesischen Königshauses und als Denkmal des Sieges des Prinzen Eugen 1706 über die Franzosen 1731 vollendete. Bei beiden treten die monastischen Gebäude gegenüber der Kirche völlig zurück, und der unvergleichliche Kreuzgang von Palermo hat mehr den Charakter einer fürstlichen Kunststiftung als einer monastischen Wandelhalle. Der unerhörte Aufwand, mit dem die Säulenschäfte und Kapitelle vor allem um das Brunnenhaus geschmückt sind, bezeugt die Verbindung eines abendländischen Baugedanken mit islamischem Wohnluxus und normannisch-romanischer Kunst." (218)

Beispiel Oviedo:
"Die Hauptstadt Asturiens, Oviedo, wird beherrscht von einer Baugruppe, in der sich Königspalast, Bischofssitz, Kloster und kirchliche Stiftungen vereinigt haben. Ihr Gründer, König FRUELA (gab. 722, regierte 757.768), stattete seine Residenz zugelcih mit dem Kloster von San Vincente und der Kathedrale San Salvador aus. Wie in vielen Städten der Frühzeit war der Abt des Klosters zugleich Bischof der Stadt. Nach Fruelas Ermordung verlegte sein Nachfolger SILO (774-783) die Residenz nach Santiana de Pravia. Furelas Sohn ALFONS DER KEUSCHE (791-812) wurde zum Neubegründer von Oviedo. Unter dem Eindruck der arabischen Bedrohung ließ er nicht nur die Stadt, sondern auch den Residenzbereich und seine kirchlichen Anlagen befestigen. Im engen Mauerbereich vereinigten sich der wiedererbaute Palast, die vergrößerte Bischofskirche, eine marienkirche als Grablage der Könige, die Kapelle Santa Leocadina und San Juan und ein königliches Damenstift. Man hat in die 'antigua acrópolis religioso-politica' alles zusammengedrängt, was man vor der Unruhe der Zeit zu schützen suchte." (219)
"Der Hof strebte in den Schatten der Klöster, ihre Frömmigkeitshaltung beeinflußte seinen Lebensstil. Der König wollte trotz seines Ranges, auch unter Wahrung aller seiner Rechte, sich zuweilen als ein Mönch unter Mönchen fühlen können. Die drei Zisterzienserklöster Spaniens, die mehr als alle anderen eine politische Bedeutung gewinnen konnten, sind hierfür Denkmäler. Es handelt sich um die Klöster Santas Crues und Poblet im katalanisch-aragonesischen Bereich und um Las Huelgas in Kastilien, das einzige Frauenkloster unter den Königsklöster des Landes, ,dem 1187 mit jenem nur in Spanien möglichen Zenntralismus alle Frauenklöster des Landes unterstellt werden sollten." (221)

Der hl. Bernhard gegen den Bauluxus (um 1124)
"In seiner berühmten Apologia nimmt Bernhard gegen den Bauluxus romanischer Kirchen und Kreuzgänge Stellung. Seine Schrift richtet sich zugleich gegen die Kluniazener und den Abt Sugor von Saint-Denis. In ihr wird der herrschende Stil der Romanik abgelehnt und der kommende der Gotik verbreitet." (297)

"Ich übergehe der Oratorien ungeheure Höhe, maßlose Länge, überflüssige Breite, verschwenderische Steinmetzarbeit und die Neugier reizenden Malereien, die den Blick der Betenden auf sich lenken und die Andacht verhindern und für mich gewissermaßen den alten Ritus der Juden repäsentieren. Aber es mag sein, daß dies zur Ehre Gottes geschieht. Ich aber frage euch, ein Mönch euch Mönche, was ein Heide an Heiden rügte: 'Sagt (garte jener), ihr Priester, was macht das Gold im Heiligtum?' Ich aber sage: Sagt, ihr Armen - denn ich beachte nicht das Wort, sondern den Sinn - sagt, sage ich, Arme, wenn wirklich Arme im Heiligtum, was macht da Gold? Freilich die Sache der Bischöfe ist eine andere als die der Mönche. Wir wissen, daß jene, da Weisen und Unweisen gleichermaßen verpflichtet, das fleischlich gesinnte Volk mit materiellem Glanz zur Andacht ermuntern, weil sie es mit Geistigem nicht vermögen. Wir aber, die wir uns dem Volke doch entfernt haben: die jegliche Pracht, jegliche Erlesenheit der Welt um Christi willen verlassen haben, die wir alles schön Glänzende, durch Klänge Schmeichelnde, lieblich Duftende, dem Geschmack Anganehme," (297)
"dem Gefühl Gefallende, mit einem Wort alles dem Leib Ergötzliche als nichtig erachten, damit wir Christus gewinnen: mit welchen von diesen Dingen, frage ich, können wir die Andacht anregen wollen? Welchen Nutzen, frage ich, ziehen wir daraus, die Bewunderung der Narren und die Ergötzung der Einfältigen? Sind wir etwa darum unter die Menschen geschickt worden, damit wir Werke derer kräftig verbreiten und damit wir noch dazu deren Schnitzereien dienen?
Und, um es laut auszusprechen, was tut hier überhaupt die Habgier, die der Dienst an Götzenbildern doch ist? Aber wir fragen nicht nach dem (geistlichen) Nutzen, sondern nach Gaben. Wenn du fragst auf welche Weise: sage ich, auf erstaunliche Weise. Durch einen gewissen Kunstgriff wird das Vermögen ausgegeben, damit es sich vervielfacht; das Geld wird ausgegeben und gemehrt uund Verschwendung schafft Reichtum. Denn durch das Anschauen verschwenderischer, aber wunderbarer (gänzlich) eitler Dinge, werden die Menschen mehr zum Geben als zum Beten herangezogen. So wird der Reichtum von Reichtümern verschlungen, so zieht das Geld sich nach: ich weiß nicht, auf welche Weise, aber, wo mehr an Reichtümer gesehen wird, wird auch williger gegeben. Vor goldbedeckten Reliquien laufen Augen über, und Börsen gehen auf. Es wird die herrliche Figur irgendeines oder irgendeiner Heiligen vorgezeigt und sie wird je bunter für desto heiliger gehalten. Die Menschen laufen herbei, um sie zu küssen, werden zu Gaben aufgefordert und eher wird das Schöne bewundert, als das Heilige verehrt. Künftig werden in der Kirche nicht nur edelsteinbesetzte Kronleuchter aufgehängt, sondern Räder, umgeben von aufgesetzten Lichtern, aber mit nicht weniger eingesetzten funkelnden Edelsteinen. Und wir werden statt der Leuchter gewissermaßen erhabene Bäume sehen, die aus schwerem Erz hergestellt und mit bewundernswerter Kunst bearbeitet sind und nicht mehr durch aufgesetzte Lichter" (298)
"als durch ihre Edelsteine funkeln. Was, glaubst du, wir in all diesen Dingen gesucht, Reue der Bußfertigen oder eher Bewunderung der Anschauenden? O Eitelkeit der Eitelkeiten, nicht mehr eitel, sondern vielmehr wahnsinnig! Es strahlt die Kirche (der Bau) in ihren Mauern und in ihren Armen leiden sie Mangel! Ihre Steine kleidet sie in Gold und ihre Kinder läßt sie nackt! Mit den Gaben der Bedürftigen wird den Augen der Reichen gedient. Die Neugierigen kommen, damit sie erfreut werden, und nicht die Elenden kommen, damit sie genährt werden: warum verehren wir nicht wenigstens die Heiligenbilder, vor denen derselbe Fußboden, der mit Füßen getreten wird, nur so wimmelt? Oft wird ins Antlitz eines Engels gespuckt, oft werden die Gesichter irgendwelcher Heiliger mit den Schuhen der Darübergehenden gestoßen. Und wenn schon nicht an diesen Heiligenbildern, warum wird dann nicht wenigstens an schönen Farben gespart? Warum schmückst du, was bald darauf besudelt wird? Warum malst du, was notwendigerweise getreten wird? Was nutzen dort anmutige Formen, wo sie häufig mit Staub befleckt werden? Endlich, was soll dies bei Armen, bei Mönchen, bei geistlichen Männern?
Außerdem im Kreuzbang bei den lesenden Brüdern, was machen dort jene lächerlichen Monstrositäten, die unglaublich stetellte Schönheit und formvollendete Häßlichkeit? Was sollen dort unreife Affen? was wilde Löwen? was monströse Zentauren? was Halbmenschen? was gefleckte Tiger? was kämpfende Krieger? was blasende Jäger? Da siehst du unter einem Kopf viele Körper und da auf einem Körper viele Köpfe. Man sieht hier da einen Vierfüßler den Schwanz einer Schlange, dort an einem Fisch den Kopf eines Vierfüßlers. Dort eine Bestie, die vorne ein Pferd ist und hinten eine halbe Ziege; dort ein Tier mit Hörnern vorn, hinten aber ein Pferd. Mit einem Wort, so viel, so wunderbare Mannigfaltigkeit verschiedenartiger Geschöpfe erscheint überall, daß man eher in den gemeißelten als in den" (299)
geschriebenen Werken liest; sich lieber den ganzen Tag damit beschäftigt, derlei zu bestaunen als das Gesetz Gottes zu bedenken. Bei Gott! Wenn man sich der Albernheiten schon nicht schämt, warum gereuen dann nicht die Kosten?" (300)


Kurze Geschichte der Klosterbauten

  • Die Anfänge: Klosterkultur Syriens, die Regel des hl. Augustinus, Benedikt von Nursia, Karolingische Großklöster
  • Cluny (Benediktiner)
  • Zisterzienser (Armutsgebot und Luxusverbot)
  • Die Kartause
  • Die Bettelorden
  • Klostersaaten, Klosterstädte, Klosterburgen
  • Fürstabtei des Barock
  • Säkularisation und Neubeginn

zu scannen: 141, 149, 156, 158, 159, 167, 184, 186, 188, 190, 204, 210, 212, 220, 221, 223, 225, 234, 236, 237, 238, 239, 251, 253, 313, 274-

Günter Bandmann: Ikonologie der Architektur (1969)

Günter Bandmann brachte 1969 das Buch "Ikonologie der Architektur" heraus.[3] Darin heißt es:

"Zunächst ist Frankreich und auch das geistig abhängige Belgien als ein Hort der Ikonographie zu nennen." (4)

"Die Ikonographie alten Stiles beschränkt sich auf die Bestimmung der praeexistenten, durch das Kunstwerk abgebildeten Inhalte. Aber schon die humanistische Ikonographie und auch die christliche Archäologie mußten das Problem der Bedeutung, d.h. der Beziehung eines in der Darstellung eingeschlossenen Sinnes auf einen übergeordneten Zusammenhang berücksichtigen. Die Ikonographie als Kund von den abgebildeten Inhalten wurde damit zu einer Kunnde von der Bedeutung der Inhalte erweitert, sie wurde Symbolkunde, Inkonologie. Wenn Christus z.B. als hellenistischer Herrscher dargestellt wurde, so sollte er zweifellos nicht das Abbild eines hellenistischen Herrschers sein, sondern man wollte mit der Fixierung der antiken Attribute einen übergeordneten Rang und Anspruch andeuten, der durch die geschichtliche Verwendung den Zeichen zugewachsen war und den sie anschaulich machten, ja, im mittelalterlicen Sinne sogar mit sich trugen." (6)

"In der Kunst der Frühzeiten ist häufig der Übergang von inhaltlicher Schilderung zur symbolischen Abkürzung, die ein Allgemeinwissen vertritt, und damit zur Bedeutung zu beobachten." (6)

"In allen diesen Fällen löst die Ikonologie (Bedeutungskunde) die Ikonographie (Inhaltskunde) ab. 'Denn bei der ikonographischen' (ikonologischen) 'Interpretation handelt es sich nicht nur um die Erkenntnis des im einzelnen' Kunstwerk Dargestellten, sondern in noch viel höherem Grade um das Verständnis der ganze Summe von Gedanken- und Gefühlsverbindungen, in deren Mitte es stand; das bloße Erkennen der Szene würde die Menge des Auszudrückenden nicht erschöpfen, daher auch Bedingungen verkennen, die für die Gestaltung - im weitesten Sinne - bestimmend sein mußten oder konnten." (7)

Tietze: "Demnach ist der ikonographischen Interpretation die Aufgabe gestellt, nicht nur das Dunkel zu erhellen, das den Gegenstand des Denkmals unverständlich macht, sondern noch mehr die Intention, also den geistigen Zusammenhang, herzustellen." (7)

"Dieser Bezüglichkeit besonderer Art ist auch die Architektur unterworfen, auch sie ist Träger von Bedeutungen und Hinweisen, die durch zahlreiche Quellen belegt werden können." (7)

"Wenn man wert auf terminologische Exaktheit entgegen dem allgemeinen Sprachgebrauch legt, müßte man also sagen, daß es keine Architekturikonographi, wohl aber eine Architekturikonologie gibt. Das heißt, die Ikonologie versucht die Frage zu beantworten: Was hat den Menschen damals diese oder jene Form bedeutet und welche Folgen sind für das Kunstwerk damit verbunden? Dagegen fragt die Ikonographie: Was stellt dieses oder jenes dar, was bildet es ab?" (8)

Sauer: "Alles was in kirchlichen Diensten und Dingen an Ausstattungen vorkommt, ist von göttlichen Hinweisen und Geheimnissen und jedes einzelne atmet himmlische Süße. Doch nur, wenn sie einen aufmerksamen Betrachter findet, der versteht, 'den Honig aus dem Felsen und das Öl aus dem härtesten Gestein zu saugen'." (12)

Ein Beispiel der Beschreibung: "In der Mitte hoben zwölf Säulen, entsprechend der Zahl der Apostel und ebensoviel in den Seitenschiffen, die Zahl der Propheten kennzeichnend, den Oberteil des Gebäudes empor, nach den Worten des Apostels, der im Geiste baut: 'So seid ihr nun nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Bürger mit den Heiligen und Gottes Hausgenossen, erbaut auf dem Grund der Apostel und Propheten, da Jesus Christus der Eckstein ist, welcher die Wände von beiden Seiten eint, in dem jedes Bauwerk, sei es geistig oder materiell, wächst zu einem heiligen Tempel des Herrn'." (12)

"Der Stein ist der tote Stoff, der einen reinen Nützlichkeitswert hat, das organische Leben spielt sich auf seiner Oberfläche ab." (13)

"Die plötzliche frappante Ähnlichkeit etwa in der Plastik des 13. Jahrhunders im Vergleich zu römischen oder gar griechischen Skulpturen verstand sich dann als Parallele. Ohne das Faktum der Wachstumsparallele in sich leugnen zu wollen ..., läßt sich doch sagen, daß in der Architekturgeschichte dieses Modell meistens versagt. Weder das karolingische durchlaufende Querhaus läßt sich aus einer zunehmenden Bereicherung der Ostanlage erklären - es steht gleich von Anfang an voll ausgeprägt in Übereinstimmung mit dem konstantinischen da - doch die salisch-staufische Zerggalerie als zunehmende plastische und räumliche Durchdringung von Blendformen verstehen; sie ist gleich am Speyerer Dom im 11. Jahrhundert vollentwickelt da und man könnte mit Recht fragen, ob nicht die fast zufällig herausgewählten 'Vorstufen' und 'Abkömmlinge' in Blendenform, die sich nur in Gebieten außerhab des Oberrheins finden lassen, etwas anderes sind, eine weiterlebende oder auch rezipierte Schicht einer anderen antiken Bauform, eben der Blendgalerie." (19)

"Durch die Untersuchungen von R. Krautheimer wissen wir, daß im Mittelalter die Formen bei der Kopie nur insoweit vom Vorbild übertrage werden, als sie Träger von Assoziationen zur Bedeutung des Vorbildes sind So ist nach den Urkunden Germigny-des-Près eine Nachbildung der Aachener Pfalzkapelle, Petershausen von St. Peter in Rom. und der karolingische Palast in Aachen eine Nachahmung des römischen Lateranpalastes. ... Ungefähre formale Ähnlichkeiten befriedigte, wenn nur das Nacherleben oder die Bannung der an das Vorbild geknüpfte Ereignisse und Mächte ermöglicht wurde. Die Übereinstimmung kann sich auf ganz allgemeine Dinge beziehen, z.B. auf die Zahl der Stützen. Die symbolische Zahl kann auch auf die Maße der Stützen angewendet werden und an die Stelle der Antiken, durch formale Gesetze bestimmten Proportionen treten. Drei oder vier wiederholte Maße, einige kopierte Glieder genügen, die Identität der Bedeutung zu sichern. Je ungewöhnlicher die Gestalt des Vorbildes, je entlegener der Kulturkreis, dem es entstammt, desto weniger ist man auf totale Kopie angewiesen. Einige Reminisencen genügen. Das Vorbild wird in typische Teile aufgelöst und diese werden in der Kopie neu gruppiert. Unter Umständen genügt schon die Dedikation an den gleichen Patron, um das Vorbild im Geiste neu entstehen zuu lassen." (20)

Ein Beispiel: "der König der Assyrer Sanherib zerstörte 689 v.Chr. das aufständische Babel, die Hauptstadt des älteren Nachbarreiches, das sich immer wieder aus der Herrschaft der Assyrer freizumachen versuchte. Er spricht aus, daß er den eigenen Landesgott an die Stelle des babylonischen Hauptgottes Mardukk setzen will. Er übernimmt die Kultformen und den Bautyp des Marduk-Heiligtums nach Assyrien, um die Mardukkraft für sich zu gewinnen. Der bei Asurheiligtümern ursprünglich übliche Torherdtempeltyp wird aufgegeben und ein ebabylonische Zikkurat errichtet." (23)

"Besonders wichtige formale Folgen stellen sich ein, wenn sich diese unsichtbare göttliche Ordnung auch durch andere Architekturpetaphern ausdrücken läßt, etwa als Himmelsstadt, als Burg oder als Königspalast." (24)

"Das Christentum griff seit dem 4. Jahrhundert die mit einer bestimmten, wenn auch schon verblaßten Bedeutung behaftete Bauformen - Säule, Apsis, Bogen, Wölbung - auf und gab ihnen in ihrer Zusammensetzung zum Gesamtwerk einen neuen Sinn als Gottesreich, Gottesstadt, der eine Modifizierung der uralten Vorstellung vom Hause Gottes darstellt." (24)

Im alten Reich Ägyptens hieß das Grab "Haus der Ewigkeit". Auf einer Grabinschrift des Gaufürsten Chuefhor (9. Dynastie) heißt es: "Ich habe mein Haus gebaut." - "Einmal hatten die nomadisierenden Stämme schon immer die Gewohnheit, ihre Toten zurückzulassen. Zwar hielten sie sich auch für weiterlebend und versahen sie mit Speisen und Trank; aber da ihnen das Wohnhaus als architektonisch formuliertes Gebilde nicht geläufig war, legten sie die Toten in Gruben, wie sie ihnen vielleicht selbst als flüchtiger Aufenthalt, für wenige Nächte als Lager dienten. Vielleicht versahen sie das Grubengrab mit einem vergänglichen zelt- oder hüttenartigen Dach, vielleicht genügte ein Mal als Zeichen.
Diese Gewohnheiten, die Toten von den Lebenden zu scheiden, wurde dann auch bei der seßhaften Bevölkerung üblich, wenn, wie es sich in der Geschichte häufig ereignete, sich die nomadisierenden, meist kriegerischen Stämme zu den Herren der seßhaften Bauern und Städter machten. Die Gräber blieben dann in einem geschlossenen Bezirk außerhalb der menschlichen Siedlung, oft vor den Toren der Stadt, ahmten aber noch weiterhin den Wohnbau nach." (27)

"in Aquileja empfing der thronende Bischof die Täuflinge zur Firmung, der Altar stand in einem anderen Bauwerk, in Rom beanspruchte schon sehr früh der Bischof die legitime Vertretung des nach Konstantinopel übergesiedelten Kaisers. Erst in den Nachfolgebauten traten andere Bedeutungen an die Stelle des Thronsaales: In Alt-St.Peter als Märtyrerkirche vielleicht der Heroongedanke, in der karolingischen und frühottonischen Querhauskirchen die geschichtliche Bedeutung als konstantinische Schöpfung und im allgemeinen die allegorisch Bedeutung der Kreuzgestalt Christi. Auch die Einführung antiker Mausoleusformen in den christlichen Kirchenbau stellt eine solche bedeutungsgebende Haltung dar, die erst nach und nach in der Gestalt der kreuzförmigen Basilika mit Turm über der ausgeschiedenen Vierung sich zu einem typisch-christlichen Gebildet verdichtete." (29)

"Zunächst kann es sein, daß, wenn dem ganzen Gebäude die Bedeutung des Kosmos, des Weltgefüges unterlegt wird, die Einzelteile sich nach dieser Bedeutung umprägen können. Diese Vorstellung des Gebäudes als Abbreviatur der Gesamtwelt stellt sich ein, wenn der Herr des Hauses, die Gottheit oder der König, als Herr der ganzen Welt geglaubt wird und die einzelnen Teile nun auf diese größere Heimat hinweisen. Das Dach des Gebäudes war der Himmel, der Boden die Erde, die Stützen bedeutende Pflanzen oder antropomorphe, der Gottheit dienende Wesen, die das Ganze tragen. Mit dieser kosmischen Interpretation war der Punkt gegeben, da die aus de Hausbau abgeleiteten Formen mit einer über ihren struktiven Zweck und ihre immanente Symbolik hinnausgenden allegorischen Bedeutung geladen wurden. Aus zahlreichen Hinweisen können wir erschließen, daß das Gewölbe und selbst das Sparrendach das Himmelszelt bedeutete, dass die Stützen die Pflanzenwelt oder Lebewesen darstellten." (31)

"Auch im christlichen Kirchenbau wurde nach der Herstellung der Verbindung mit der Antike diese Bedeutung wirksam, nur muß gesagt werden, daß, wenn sich auch die Bedeutung der Kirche als Kosmos und als Wohnhaus Gottes nachweisen läßt, die Bedeutung als Himmelsstadt bei weitem überwiegt. Das Hervortreten dieser Allegorie ist begründet im Wesen des christlichen Gotteshauses, zu dem die Gemeinde der Gläubigen konstitutiv gehört, im Gegensatz zum heidnischen Tempel, der in erster Linie dem Gotte vorbehalten ist." (31)

"Seit der Antike übliche Symbole der Stadt auf bildlichen Darstellungen wie die Doppelturmfassade (-Stadttor) und das Nischenportal tauchen in der Baukunst des nordischen Mittelalters am Kirchenbau auf. Obwohl auch hier andere, nicht auf den Städtebau hinweisende morphologische Ableitungen möglich sind, ist die Abwandlung des in Italien üblichen Basikientyps in dieser Richtung unter dem Eindruck der allegorischen Interpretation des Kirchenbaus (ecclesis - civitas Dei - Nova Jerusalem), die im 12. Jahrhundert ihren Höhepunkt hat, überzeugender. Vornehmlich die Dreiturmgruppe, das Castellum genannte Westwerk und die Torburg stimmen vollkommen mit zeitgenössischen bildlichen Stadtdarstellungen überein." (32)

"Das gotische Figurenportal resumiert sozusagen bildlich die Bedeutung der Kathedrale als Himmelsstadt, es mach wirklich sinnlich anschaulich, was das Gesamtgebäude verschlüsselt bedeutet." (34)

"Wir können beobachten, wie das dem Chorraum und Westbau zuerst vorbehaltene Gewölbe auf das Langhaus übergreift, wie die Blend- und Zwerggalerie vom Westen - als antika Attika - auf die Apsis übertragen wird und von dort an das Langhaus wandert, wie das Triforium von der Apsisrundung in Querschiff und Langhaus zieht. Man kann sogar sagen, daß eine Innenraumgestaltung wie in Speyer II - Pfeiler mit aalternierenden Halbsäulenvorlagen, die ein baldachinartiges Gewölbe tragen - eigentlich eine Aneinanderreihung von gewölbebekrönten Vierungen darstellt, wobei die Stützen das alte Triumphbogenmotiv wiederholen." (40)

"Das Sichtbarmachen und zusammenfassende Herausstellen hat einen Höhepunkt im 13. Jahrhundert. Seit dieser Zeit ist auch der Kirchenraum als geschautes Ganzes und nicht nur als 'Negativ des plastischen Baukörpers', als Apparat mit symbolischen Hinweisen aufzufassen." (41)

Wolfgang Braunfels: Die Welt der Karolinger und ihre Kunst (1968)

Wolfgang Braunfels: Die Welt der Karolinger und ihre Kunst. München 1968. (Georg D.W. Callwey)

Comumban kam 590 mit 12 Gefährten in das Merowingerreich. Er zog über Paris und Lyon in die Vogesen, gründete dort Luxeuil, zog über den Bodensee nach Italien. Gallus, einer seiner Mönche, blieb 606 als Einsiedler am Gebirgsrand zurück. Es entstand die Zelle St. Gallen, aus der sich seit 720 das Kloster entwickelte. Während der Normannenstürme zu Beginn des 9. Jh. floss im der reiche Schatz irischer Bücher zu, der Ruhm der Klosterbibliothek. Im langobardischen Königreich gründete Columban Bobbio, wo er 616 starb. (71)

"Denn die Iren wollten wandern oder in Zellen christliche Frömmigkeit und Askese leben, die Angelsachsen aber eine kirchliche Organisation schaffen. Ihre verschiedene Geisteshaltung ist im religiösen Raum immer wieder zu Tage getreten, im Bereich der Kunst jedoch für uns nicht fassbar." (71)

Durch den hl. Patrick wurde 432 in Irland das Christentum wiederbelebt. Es entstanden zahlreiche Klöster, in denen sich Mönche bis an die Grenze der menschlichen Leidensfähigkeit der Askese auslieferten. Unvergeßlich ist das Bilder Büßer, die Nächte hindurch im kalten, dunklen Meer bis an den Hals gestanden sind und Psalmen gesungen haben, um Wahnbilder einer erotischen Versuchung zu verdrängen, die sie in ihrer Einsamkeit beunruhigt hatten." (71)

"Unter den Missionaren bleibt die West-Ost-Bewegung ein bestimmender Faktor. Pirmin, der Gründer der Reichenau 724, kam wahrscheinlich aus dem Süden Frankreichs; der heilige Emmeram ist von Poitiers nach Regensburg gewandert; der erste Salzburger Bischof Rupert ist über Worms nach dem Osten gegangen. Im ganzen jedoch ist die Nord-Süd-Bewegung von England nach Deutschland für die Entfaltung der karolingischen Kultur in den Missionsländern seit Willibrord und Bonifatius bedeutsamer gewesen als die West-Ost-Bewegung. Im deutschen Sprachraum tritt uns das 8. Jahrhundert als ein durchaus englisches entgegen. In den neuen großen Kulturklöstern Echternach (gegründet vor 698), Fulda (gegründet 744), Lorsch (gegründet 764), bis hinunter nach Sankt Gallen und dem Bischofssitz Salzburg sind die Mönche an Hand von englischen und irischen Vorbildern in Schönschrift und Malerei geschult worden. Aus England stammten die meisten neueren Texte, die ihnen bei ihren lateinischen Studien zum Vorbild geworden sind." (73)

"Willibrord, der seit 690 im Frankenreich lebte, wurde 693 im Rom zum päpstlichen Beauftragten der Friesenmission ernannt und auf seiner zweiten Romreise 695 Bischof. Bonifatius, der seit 716 in Friesland missioniert hat, wurde 722 zum Bischof, 732 in Rom zum Erzbischof erhoben und sollte ein Netz von Missionsbistümer errichten. Gegen seine Reformbesttrebungen leistete die fränkische Kirche heftigen Widerstand. So kam es nur in den reinen Missionsgebieten zur Gründung neuer Bistümer, unter denen Würzburg und Eichstätt allein am Leben geblieben sind. Lediglich in Bayern, nicht im Frankenreiche, gelang eine Reform der Bistümer, die erst Karl der Große 798 mit der Erhebung von Salzburg zur Metropole zum Abschluß brachte, der Regensburg, Freising und Passau unterstellt worden sind." (73)

"Die wichtigsten Gesprächspartner Karls während seines ganzen Lebens sind die Päpste gewesen. Die Achse der karolingischen Politik überhaupt, um die sich alles andere drehte, war das Verhältnis zum Heiligen Stuhl. Für Karl selbst begann dieses Gespräch sich mit seinem ersten politischen Auftrag, von dem wir wissen, jener Mission des Zwölfjährigen anch St. Maurice, um Papst Stephan II. abzuholen. Der Staatsakt in Saint-Denis, in dem sein Vater gesalbt, er selbst 'patricius Romanorum' wurde, muß sich im unvergeßlich eingeprägt haben. In ein persönliches Verhältnis ist er dann ersrt zu Hadrian I. (772-795) getreten, dem Papst, der länger als jeder andere seit den Tagen des hl. Petrus regiert hat. Dieser Römer ist auch Karl gegenüber die größere diplomatische, vieleicht sogar politische Begabung gewesen. In seinen Verhandlungen mit den Franken, den Langobarden, den Herzögen von Benevent und Byzanz hat er die Macht, das Ansehen und die Unabhängigkeit des Papsttums stetig gesteigert." (101)

"Es gibt hier ein Gegeneinander von Verwaltungspraxis und Vertrag, der Taten zu den Urkunden, das für das Verhältnis von Aachen zu Rom kennzeichnend ist. Die Wirklichkeit sah anders aus, als Urkunden sie erkennen lassen, die uns allein überliefert sind. Das Papstum hat sich zu allen Zeiten gern an Geschriebenes gehalten, und sei es an ein Gefälschtes, wie jene Konstantinische Schenkung, die auch zur karolingischen Kultur gehört, während Karl zwar gern sein berühmtes Signum vollzog, jedoch im Angesicht der Gegebenheiten robust von dem so heilig Verbrieften kaum Kenntnis genommen hat." (101)

Ein Beispiel hierzu: "In theologischer Hinsicht ist das Pontifikat Hadrians bedeutsam, weil unter ihm 787 auf dem Zweites Konzil von Nicäa die Bilderverehrung, die 754 auf Betreiben des oströmischen Kaisers Leo III. verdammt worden war, wieder zugelassen wurde. Diese Erlaubnis konnte sich im Frankenreich nicht durchsetzen: Karl der Große ließ die (allerdings nur in schlechten Übersetzungen vorliegenden) Konzilsbeschlüsse von der Synode von Frankfurt im Jahre 794 verwerfen."[4]

Es gab mehrere Gründe, warum Karl d.G. Aachen als seine Hautstadt auswählte: (125)

  • Aachen lag im Kerngebiet des Landbesitzes der Karolingerfamilie
  • Aachen war von reichen Jagdrevieren umgeben
  • Aachen hatte die wärmsten Bäder Mitteleuropas, was der 52-jährige Karl sehr schätzte

Karl d.G. war 5-mal in Italien (125)

  1. 774, als er den König Desiderius schlug, Pavia eroberte und das Langobardenreich nahm
  2. 776, als er die letzten Widerstände brach
  3. 780/781/, als er durch Hadrian I. seine Söhne Pippin und Ludwig zu Königen von Italien und Aquitanien salben ließ
  4. 786/787, als in Ravenna und Benevent byzantinische Lebensformen sein Weltbild zu verändern begannen
  5. 800/801, als er in Rom zum Kaiser gekrönt wurde

Im Winter 794/795 fasste Karl d.G., wohl spontan, den Entschluss zur Pfalzkapelle in Aachen, was "mit jener militärischen Eile und Kraft durchgeführt wurde, die Karls Organisationstalent ebenso beweist wie die Fähigkeit der Künstler, die er aus seinem ganzen Reich nach Aachen zusammenzog." (125)

Einhard gibt an, dass Karl d.G. neben Aachen auch in Nymwegen und Ingelheim einen Monumentalbau errichten ließ. Davon ist jedoch nichts mehr erhalten. (126)

Regensburg: "Tassilos Herzogspfalz in den Bauten und zwischen Ruinen des großen Römerlagers an der Donau muß erneut dazu beigetragen haben, das Verlangen nach einem monumentalen Regierungssitz zu stärken. Die Kirche des Klosters St. Emmeram vor den Mauern des Lagers, in welcher der Bischof zugleich als Abt residierte, war eben im Bau, vielleicht schon vollendet und sier eine der größten, die bisher im Frankenstaat errichtet wurden." (127)

"Die Großen des Reiches, die Bischöfe Äbte, Grafen, fremde Gesandte wie unterjochte Fürsten waren in gleicher Weise bestrebt, aus dem Beutegut der Völkerwanderungszeit und dem Trümmerschutt des Römerreiches die kostbarsten Stücke der Antike dem König zu senden. Erhalten haben sich die Säulen des Emporgeschosses der Kapelle, einige wenige Kapitelle, die Marmorplatten des Thrones, der Sarkophag, die Wölfin, vielleicht der Pinienzapren, wenn er nicht doch eine karonlingische Nachahmung ist, dazu kostbare Seiden. Wir wissen, daß Karl aus Ravenna das Reiterstandbild des Theoderich kommen ließ, in dem er sein Vorbild verherrlicht sah. Er konnte es von seinen Fenstern aus immer vor Augen haben. ... Wir wissen nicht, wann es zugrunde gegangen ist. Die Arbeiten des Hofes selbst erweisen, daß zahlreiche antike Bücher, Elfenbeine, Gemmen, Silbergerät und Goldschmuck nach Aachen gekommen sind. Und freigebig schenkte Karl an die Provinzen zurück." (134)

"Es sind im Grunde nur drei Gruppen von Künstlern, deren Tätigkeit am Hofe wir für einen so langen Zeitraum überblicken können, daß es möglich wurde, die Entfaltung ihrer Kunst zu beschreiben: die Miniaturmaler, die Elfenbeinschnitzer und die Bronzegießer, auch in Ansätzen die Goldschmiede." (135)

"In Aachen haben sich sechzehnn große Güsse erhalten - wenn man von den Pinienzapfen absieht -, acht Brüstungsgitter auf der Empore der Pfalzkapelle und acht Türflügel. Diese Werke bilden eine einzigartige Gruppe. ... Weder vorher noch nachher im 8. und 9. Jahrhundert treffen wir auf Vergleichbares. Ebenso wissen wir nicht, woher die Meister gekommen sind. ... Ihr Handwerk beherrschen sie vom ersten bis zum letzten Guß gleich meisterlich. Deshalb muß man annehmen, daß sie sich in anderen Zentren des Reiches schon bewährt hatten, vielleicht in Saint-Denis, in Metz, an der Maas, in Worms oder Regensburg, ehe sie an den Hof gerufen wurden. Sie müssen aus Werkstätten von Waffenschmieden gekommen sein, welche die Gußtechnik der Merowinger noch vollkommen bewahrt hatten. Doch kannten sie auch die Formensprache zeitgenössischer Steinmetze. Dennoch bleibt es wahrscheinlich, daß sie in Aachen ihre ersten und wohl auch ihre einzigen monumentalen Güsse geschaffen haben. ... Als Erzbischof Willigris von Mainz am Ausgang des 10. Jahrhunderts für seinen Dom Bronzetüren herstellen ließ, konnte er sich darauf berufen, daß seit den Tagen Kaiser Karls keine mehr gegossen worden seien. Und wieviel schlechter sollten die seinen geglichen haben. Bedenkt man, daß jede der sechzehn Arbeiten in einem Stück gegossen worden sind, und daß die größten Güsse, die Flügel der Wolfstüre, 34 Zentner wiegen, so bewundert man den Wagemut dieser Schmiede. Auch die Menge des Erzes, das Karl aus dem Maastal zu beschaffen wußte, ist überraschend groß. Ein glücklicher Fund der Reste des Brennofens und der Werkstatt hat schon 1911 die Gewißheit vermittelt, daß diese Bronzen in Aachen hergestellt worden sind. Eine genauere Betrachtung der Güsse unterrichtet über die Reihenfolge ihrer Entstehung. Die Werkstatt hat zuerst vier der Gitter geschaffen, dann die sechs kleinen Türflügel, am Höhepunkt ihrer Erfahrungen um 800 die große Wolfstüre und als Abschluß die reifen Meisterwerke der vier letzten Gitter." (135)

"Zu den Kostbarkeiten höchster, ja kaiserlicher Repräsentation, die Päpste, Bischöfe, Äbte, die Fürsten Italiens und wohl auch die Gesandten aus Konstantinopel Karl dem Großen zum Geschenk machten, gehörte neben vielen der seltsamsten Gemmen eine Anzahl spätantiker Elfenbeinarbeiten. Auch als Beutegut mögen sie ihm in Pavia, Ravenna oder Benevent zugefallen sein." (150)

"Rom und Byzanz verwendeten das Elfenbein für weltliche Ehrengeschenke und zur Betonung sakraler Weihe." (151

Die Kirche von Corvey wurde von 822-844 errichtet und 1665 abgerissen. Es war eine flachgedeckte Basilika. Die Schenkung der Reliquien des hl. Vitus gab der Neugründung hohes Ansehen. (191) Das Westwerk war bei seiner Weihe 885 ausgemalt. (195)

"Auf allen seinen Kriegszügen suchte Karl Schätze zu erbeuten. Der ferne, unbekannte, verborgene Hort bildete oft einen wesentlichen Anlaß für diese Kriege selbst. Dem Raub haftete noch den Charakter einer Trophäe an, welche die Macht des Siegers demonstrierte. Von der Eroberung der Eresburg und der Zerstörung des Sachsenheiligtums der Irminsul brachte Karl einen Schatz an Beutegold und Silber mit. Aus Pavia führte er zusammen mit dem König Desiderius, seine Frau und Tochter den ganzen Schatz des Palastes in das Frankenreich ab. ... Auch von dem Araberfeldzug 778 soll Karl mit guter Beute heimgekommen sein. Der spätere Sachsenkrieg, die Feldzüge gegen Slawen, Dänen, Bretonen können nicht viel Kulturgut erbracht haben. Die Beute wird vor allem aus Sklavinnen, Pferden, Vieh bestanden haben. Noch er er 788 Tassilo in Ingelheim veruteilte, ließ Karl dessen Schatz aus Regensburg kommen." (195)

"Je höher Karls Ansehen stieg, um so kostbarer waren die Gaben, welche die Großen des Reiches, fremde Gesandte, befreundete Fürsten ihm übergaben. Der Papst, die Bischöfe und Äbte überbrachten Raritäten. Auch ein fränkischer Abt des Klosters am Ölberg vor Jerusalem sandte Gaben. Von den arabischen Fürsten kamen Gewänder, Seiden, Zelte, Teppiche, Waffen, Wohlgerüche. Schon Pippin hatte aus Byzanz jene viel bestaunte Orgel erhalten ..." (196)

"Karl entschied wohlberaten und allein. Im gegenüber erschien jede Unbotmäßigkeit als Torheit. Doch haben wir gesehen, daß die Macht, die seine Gegenwart ausübte, ihm im wachsenden Ausmaße den Sinn für die Wirklichkeit seiner Gesetze in der Ferne getrübt hat. Denn weder Vaterlandsliebe noch ein Gemeinschaftsgefühl hielten dieses Reich zusammen. Die kirchliche Organisation bildete ein zu esoterisches Band, um damit den Staat zusammenzubinden. Und während die lateinische Hochkultur die Einheit unter den Eliten förderte, lebten sich die Völker auseinander." (199)


Scannen: 35, 63, 68, 69, 129, 131, 133, 136, 184, 185, 187, 188, 190, 192, 201,

D - Werden - St. Liudger (Reliquiar) : https://www.openstreetmap.org/#map=17/51.38795/7.00462 D - Lorsch (Kloster) : https://www.openstreetmap.org/#map=17/49.65362/8.56940 D - Aachen - Dom (Sakophag Karl d.G.) : https://www.openstreetmap.org/#map=19/50.77471/6.08394 D - Corvey - Krypa, Westwerk : https://www.openstreetmap.org/#map=19/51.77818/9.41017 D - Fulda - Michaelskirche (Krypa) : https://www.openstreetmap.org/relation/454863#map=18/50.55485/9.67219 F - Jouarre - Klosterkirche (Krypta) : https://www.openstreetmap.org/#map=18/48.92677/3.13140 F - Germigny-des-Prés (Kirche) : https://www.openstreetmap.org/#map=18/47.84617/2.26678 CH - Müstair - St. Johann (Statue Karl d.G., Altarschranke) : https://www.openstreetmap.org/#map=17/46.62993/10.44887 I - Mals - St. Benedikt (Fresken) : https://www.openstreetmap.org/#map=19/46.69032/10.53955 I - Naturns - St. Prokulus (Fresken) : https://www.openstreetmap.org/#map=19/46.65209/11.00898

Mittelalternliche Architektur als Bedeutungsträger (1951)

Günter Bandmann veröffentlichte 1951 das Buch "Mittelalternliche Architektur als Bedeutungsträger".[5] Darin heißt es:

"Am Speyerer Dom sind seit der Mitte des 11. Jahrhunderts Formen zu beobachten, die neuartig in der bisher nördlich der Alpen gewohnten Architektur erscheinen: Halbsäulen als Gliederung des Ostchores, als Vorlagen im Mittelschiff und in den gewölbten Seitenschiffen, eine das ganze Gebäude umziehende Zerggalerie, etwas von der Wand abgerückte Vollsäulen als Stützen baldachinartiger Gewölbe in der Afrakapelle, korinthische Kapitelle von antikisierender Durchbildung, wie sie seit karolingischer Zeit im Abendland nicht mehr vorkamen." (8)

"Wenn man sagt, das Kunstwerk habe eine Bedeutung, so meint man damit einen Hinweis auf etwas, das über die materielle und formale Organisation des Kunstwerks hinausgeht, eine Einordnung in einen größeren Sinnzusammenhang. Der Bereich des Künstlierischen wird überschritten, indem man das Kunstwerk als Gleichnis, als Vertretung, als stoffliche Emanation eines Anderen auffaßt. Der Hinweis ist immer dann gegeben, wenn das Kunstwerk etwas abbildet oder darstellt." (11)

"Sowohl im frühen Mittelalter, als zur Zeit Karls des Großen, als zur Zeit Bernhards von Clairvaux waren die Möglichkeiten der Kunstauffassung sowohl im spätantik-formalen wie im archaisch--magischen Sinn gegeben, entsprechend dem symbolischen Grundcharakter mittelalterlicher Äußerung: das formale Vergnügen an künstlerisch gestalteten Gegenständen und die kultische Verehrung heiliger Dinge. Die Reformer wandten sich eigentlich nicht gegen die Kunst an sich, sondern gegen die Extreme beider Verhaltensweisen: gegen das rein sinnliche Vergnügen an allen, auch an den kultischen Dingen ,und gegen die kultische Verehrung von Bildern, die in sich nichts Heilige bargen." (19)

"Je mehr der symbolische, hinweisende Sinn verlorengeht, um so mehr Spielraum wird der formalen Phantasie gegeben, während andererseits beim Anwachsen des Symbols zum Objektiv-Gegenständlichen der 'Aktionsraum' der Form eingeengt und die ästhetische Wirkung in eine niedrigere Wertstufe eingeordnet wird." (20)

Bereits die ägyptischen Weiheinschriften an Tempeln beginnen durchweg mit den Worten: "Er (der König) hat dies gemacht als sein Denkmal." (45)

"Auf totale formale Kopie stoßen wir erst in historisierenden Epochen. Erst bei Bewußtsein der zeitlichen Distanz verselbständigt sich das Bauwerk der Vergangenheit auch ästhetisch. Besonders deutlich wird dieses Phänomen bei Bauwerken die nachweislich das heilige Grab in Jerusalem nachahmten. Während die Bauten des 8. bis 13. Jahrhunderts vom Vorbild und auch untereinander stark abweichen und ganz der Formensprache ihrer Zeit hingegeben sind, beginnt man im 16. Jahrhundert, die heiligen Gräber in fabelhaften und orientalisch anmutenden Formen zu errichten, die das Vorbild als gesehenes Ganzes bezeichnen möchten." (49)

"Die Jesuiten knüpften während der Gegenreformation im norddeutschen Kampfgebiet an romanische und gotische Formen an da mit ihnen der wiederherzustellende Geist des Universalismus verknüpft zu sein schien. In Bayern wo diese Kampfstellung nicht eingenommen zu werden brauchte, bauten die Jesuiten frei in der Art des von Il Gesu in Rom ausgehenden Barock ohne historisierende Neigung." (49)

"Auch bei der immer noch dunklen Geschichte der Türme in der mittelalterlichen Baukunst läßt sich sagen, daß die nachgewiesenen Verwendungszwecke als Glockenträger und Verteidigungsbauten nicht ausreichen, ihr Dasein bzw. ihre Ablehnung zu erklären. Sowohl die Zisterzienser als auch die Bettelorden haben nciht auf den Gebrauch von Glocken verzichtet, wohl aber auf die Errichtung von Türmen." (58)

"Der Gottesstaat reicht als Wirklichkeit in diese Welt hinein, und die Gläubigen sind seine Bürger. Das 'himmlische Jerusalem' stellt nicht (wie heute im historischen Denken) einen historischen Endzustand dar, 'sondern den letzten Sinn des gegenwärtigen Zustandes'. Nach einem Wort des Photios 'taucht der Gläubige in das Heiligtum, als sei er in den Himmel selbst eingegangen'. Die Kirche ist nicht nur Abbild, sondern Wirklichkeit des himmlischen Jerusalem, indem die Einzelglieder das als Wirklichkeit gegebene Sakrament und die Reliquien ausdeuten, zur Anschauung bringen." (66)

Konstantin ließ sein Grab von von 12 Säulen (Apostel) umgeben. Wahrscheinlich folgte Theoderich dem gleichen Gedanken und setzte sich damit Konstantin gleich. (66)

"Während man sich im frühen 11. Jahrhundert noch damit begnügte, nur die Namen von Heiligen auf die Säulen zu schreiben oder durch Einlagen von Reliquien sie in ihrer Realität zu steigern, drängte das 12. und 13. Jahrhundert auf anschauliche Vergegenwärtigung." (80f)

"Durch den Drang zur Verbildlichung, mit dem das 13. Jahrhundert die Epochen der Plastik und Malerei einleitet, wird die symbolische Aussagekraft der Architekturglieder gemindert und die nicht Figur gewordene Säule am Portal zum allgemeinen Repäsentationsrequisit degradiert." (82)

"Vornehmlich die Stadt, das himmlische Jerusalem, ist eine Metapher, die immer wieder in der Literatur den Gottesstaat und die Kirche vertritt: Kirche - Stadt - Gottesstaat erscheinen bis weit in das 13. Jahrhundert unter gemeinsamen Anschauungsformen." (85)

"Der Nischenbau in Aachen nun stellte insofern zwar eine machtvolle Repräsantationsform für Karl dar, als der Herrscher in einer oberen loggienartigen Öffnung in Höhe der Kaiserempore erscheinen und sich dem im Atrium versammelten Volke zeigen konnte, gleichsam in einer 'weltlichen' Apsis sich repräsentierte, aber er bedeutete doch auch, daß in der eigentlichen Pfalzkapelle Christus und Maria die Herren waren, denen Karl wie jeder andere Gläubige diente. Damit war eine Trennung bewirkt zwischen der eigentlichen Kirche im Osten, der Ecclesia trimphans, während Karl in dem bollwerkartigen, stadttorhaften Westbau, dem Symbol der Ecclesia militans, als Schützer der Kirche erschien." (107)

Der von Karl d.G. eingeführte Zentralbau der Aachener Pfalzkapelle als Königskirche als die vornehmste unter allen Kirchen, waren bereits als Mousoleen und Taufkapellen bekannt. Doch die Pfalzkapelle Karl d.G. überragte alle damaligen Bischofs- und Klosterkirchen in seinem Reich. "Mit diesem Bau, der das Selbstbewusstsein Karls vor der Kraiserkrönung dokumentiert, vertritt Karl eine Anschauung, die schon wenige Jahre später eingeschränkt wurde, aber folgenreich bis in das 13. Jahrhundert weiterwirkte." (201)

"Man kann aus der byzantinischen Baukunst vom ausgehenden 5. bis zum 12. Jahrhundert zahlreiche Beispiele dieser zentralen Hauptkirchen nennen, bei denen zuweilen direkte Beziehungen zu den abendländischen Hof- und Palstkirchen nachzuweisen sind." (203)

"Die römische, von Gregor dem Gr. formulierte Liturgie wird unter Pippin eingeführt, der Apostel Petrus rückt in die Mitte der Heiligenverehrung, die Peterskirche in Rom, seit dem 6. Jahrhundert die Lateranbasilika an Ansehen überflügelnd, wird nach Einhards Zeugnis von Karl vor allen anderen geachtet." (225)

Während die Benediktinerabteien St. Denis, Fulda Hersfeld (831-850), Seligenstadt (831-840) als Reichsklöster, Residenzen des Kaisers auf seinen Reisen, in diesem Grundrißtyp vorausgingen, tritt im 10. und 11. Jahrhundert der Bischofsdom als Staatskirche in den Vordergrund und wird zum ersten Repäsentanten dieses Grundrisses: Mainz, Speyer, Worms, Straßburg, Konstanz, Basel, Augsburg, Salzburg, Magdeburg, Minden, Paderborn, Goslar, Hildesheim, Merseburg, Bamberg, Naumburg. Damit sollte gleichsam die römische St.-Peters-Kirche gebannt und vertreten werden." (226)

"In den engen Vereinigungen des Sacerdotium und Regnum im Bischof als oberstem örtlichen Kirchen- und Reichsbeamten erfährt der Reichsgedanke, wenn auch nur für kurze Zeit, seine mächtigste Ausbildung. Kaiser und Papst waren in diesen Kirchen Mitglieder des Stifts oder Kapitels und Häupter der Kanoniker. Für beide waren diese Gebäude die Orte ihrer Repräsentation." (227)

"Da die Kirche ein architektonisches Abbild des Gottesreiches ist, das seit Karl von Kaiser und Papst repräsentiert wird, könnte auch die auffällige Anfügung dieses Bauteils mit der Gesamtvorstellung in Zusammenhang gebracht werden." (227)

"Die Anlage eines zweiten Chores hatte wichtige Folgen für die ostfränkische Baukunst: Aufhebung des Wegcharakters in der Anordnung der Bauteile, auswägende Gruppierung statt Längsrichtung. Doppelchörige Anlagen sind schon in vorchristlicher Zeit zu finden (...), in christlicher vorkarolingischer Zeit auf dem ganzen Imperiomsboden, in Nordafrika, England und Katalonien. Zu größter Dichtigkeit versammeln sie sich jedoch in karolingischer und vor allem in ottonischer Zeit im ostfränkischem Raum. Danach läßt ihre Zahl nach, ab 1250 sind sie verschwunden. Das nördlichste Beispiel ist Bremen, die westlichsten sind Besancon, Verdun und Nivelles, die südlichsten St. Gallen und Füssen, die östlichsten Magdeburg, Merseburg und Regensburg. Außerhalb des deutschen Siedlungsgebietes gibt es seit karolingischer Zeit nur zwei Beisspiele: Nevers und Thum bei Lemschitz. Sie sind nur an Kloster-, Stifts- und Bischofskirchen zu finden, nicht aber an Pfarrkirchen." (227)

"Gewiß hängt die auffällige Verbreitung im ostfränkischen Raum des 9. bis 12. Jahrhunderts sowie die auffällige Ablehnung des Gegenchores bei kaiserfeindlichen Richtungen und Ländern mit der vor allem in ottonischer Zeit zugewachsener Bedeutung als Königschor zusammen. Der Augustinische Gedanke vom Gottesstaat, der sich auf Kaiser und Papst als gleichwertigen Mächten aufbaut, ist for allem in ottonischer und staufischer Zeit vorgetragen worden." (228)

"Im Westchor saß der Kaiser und nahm am Staatsgottesdienst teil; bei Konzilien und Synoden hatten Kaiser und Papst gemeinsamen Vorsitz; in der zeitgenössischen Dichtung, im Annolied, in der Kaiserchronik und im Spiel vom Antichrist hatten Kaiser und Papst einen gleichen Rang. Ihre Legitimierung erhielten die in den beiden Chören angesiedelten Gewalten durch den Kreuzaltar in der Mitte.
Es wird so verständlich, daß nach Canossa, als die Kaiserkrönung von ihrem sakralen Charakter verlor, der Kaiser nicht mehr ein zum Eingriff berechtigtes Glied der kirchlichen Hierarchie war, nach 1220 sogar als Laie angesehen wurde, Christus nicht mehr als König, sondern als Leidender erschien, die Ideologie des Kaisertums erlosch und im Kirchenbau der Gemeinderaum an Bedeutung zunahm, auch das Ende der doppelchörigen Anlagen gegeben war." (229)

"Auch die anderen großen Repräsentanten der triumphierenden Kirche, die mit Alt St.-Peter wetteifern wollen, folgen diesem Typ: die großen Wallfahrtskirchen in Ripoll, St. Sernin in Toulouse und Santiago di Compostela und vor alem die Hauptklosterkirchen der Benediktiner. An erster Stelle ist der Desideriusbau (1066-1090) in Monte Cassino zu nennen, der einen großen Einfluß auf die Baukunsts Kampaniens und Apuliens hatte. Desiderius ließ hier am Triumphbogen 'in goldenen Lettern ein Distichon anbringen, das der in der römischen Petersbasilika an derselben Stelle befindlichen, auf Kaiser Konstantin zurückgehenden Inschrift entnommen war'. In Sizilien, Kalabrien und Oberitalien (Amalfi, Messina, Acqui, S. Abondio in Como) scheint aber dieser Typ der St.-Peter-Nachfolge nicht von Monte Cassino, sondern von dem Majolusbau in Cluny (955-981) auszugehen." (236)

Cluny III hat ähnliche Kapitelle wie der Dom von Speyer. (237)

Es kommt zur "sogenannten mittelalterlichen Renaissancen der karolingischen, ottonischen und staufischen Zeit, die als Universalstile im ganzen Geltungsbereich des die Formen erwälenden Traditionsträgers sich ausbreiten, ohne Berücksichtigung deer landschaftlichen Neigungen. Künstlerischer Schwerpunkt ist die Heimat des Traditionsträgers: das Maas- und Niederrheingebiet in karolingischer, Sachsen in ottonischer, der Oberrhein in salischer, der Niederrhein, das Elsaß und Unteritalien in staufischer Zeit." (241)

"Der Investiturstreit, der die Bischöfe in den Zwiespalt von Reichs- und Kirchentreue brachte, vollendete ihre Stellung als weltliche Fürsten. Nun sahen sich die Kaiser veranlaßt, nach den Gaugrafen und Bischöfen eine dritte Institution als Gegengewicht gegen die landesherrlichen Interessen zu unterstützen, die Städte. In Speyer, Mainz und Worms z.B. werden die Städte in ihren Rechten gegen den Bischof durch die Kaiser bestätigt, und eine neue Schicht von Bauherren wird sozusagen zu 'kaiserlichen' Inschriften, Denkmälern und turmreichen Bauten autorisiert." (242)

Günter Bandmann: Die Bauformen des Mittelalters (1949)

Günter Bandmann: Die Bauformen des Mittelalters. Bonn 1949. (Athenäum-Verlag)

"Nur was man weiß, sieht man! - Dieser Satz gilt besonders für die Betrachtung der Baukunst, die sich leichter als alle anderen Kunstgattungen in ihren Elementen abgrenzen und bezeichnen läßt." (6)

Die älteste Form des Chors war ein, gegenüber dem Kirchenschiff verschmälertes, rechteckiges Chor. Ihm folgte ein Chorraum mit runder Apsis. Bereits in karolingischer Zeit kam das Kleeblattchor (Trikonchos = Dreimuschelchor) auf. Bis zum Jahr 1000 wurden in Deutschland auch Kirchen mit einem, gegenüber dem Kirchenschiff breiteren Chorraum mit drei gleich großen Apsiden gebaut, in Südwestfrankreich und Katalonien auch noch länger. Die Kathedrale von Chur war im 5. Jh. dreischiffig, ihr Neubau des 8. Jh. einschiffig. (17-19)

Die Zahl der Sakralbauten nahm im MA stark zu, zumal "wegen des starken Ansteigens der Bevölkerungszahlen seit dem 13. Jahrhundert, zum anderen wegen der Auflösung des Basilikatyps. Viele Pfarrkirchen in den nun aufblühenden Städten sind einschiffige Saalbauten, nun gewölbt, aber von großer Einfahheit. Die Bettelorden haben diesen Typ entwickelt. Nicht nur die symbolhaltige Liturgie, sondern die allgemeinverständliche Predigt steht im Mittelpunkt (Franziskaner 1220, Dominikaner 1245, Eremiten 1303, Serviten 1567). Ein einfacher, großer, leicht überblickbarer Raum wurde gefordert, und der einfache rechteckige Saalbau ohne Querschiff bot sich als die beste Lösung an. Die Kanzel wurde meist in der Mitte der Langseite angebracht. ... Die protestantische Predigtkirche knüpft an diese Überlieferung an." (22)

"Ganz richtungslose Zentralbauten gibt es nicht, da der Mensch ein gerichtetes Wesen ist. Der Eingang und der Altar wirken auf die in sich ruhende Vertikale des Zentralraums ein." (24)

Der Zentralbau kommt im MA in verschiedenen Varianten vor: (26-29)

  • Grabkirche (Mausloeum - Bis in gotischer Zeit waren einfache Friedhofskapellen oft Zentralbauten. In Mitteldeutschland, der Oberpfalz und Österreich ist der Karner ein besonderer Zentralbau: im Untergeschoß werden die Gebeine gelagert, im Obergeschoß werden die Andachten gehalten.
  • Templerkirchen - Der Templerorden (1118-1312) hat bevorzugt Zentralbauten errichtet. Ihr Vorbild war das Heilige Grab in Jerusalem oder die Omarmoschee, die für den Tempel Salamons gehalten wurde. - Schon vor dem Templerorden gab es Nachbauten des Heiligen Grabes, so St. Michael in Fulda, die Busdorfkirche bei Paderborn und in Konstanz. - Auch alte Krypten in Frankreich, die zunächst Grabstätten waren, sind zentral gestaltet, so in St. Germain (841-816).
  • Taufkirchen (Baptisterien) - Taufkirchen wurden oft als runde oder mehreckige Bauten einem Dom oder einer großen Pfarrkirche angefügt, so in Bonn, Worms, Magdeburg. Sie sind um den Brunnen oder das Taufbecken herum gebaut. Die antiken Thermen sind als Vorstufen anzusehen. Bei den Taufkirchen steht der einzelne Mensch (Täufling) und die an ihm vorgenommene Handlung im Mittelpunkt.
  • Eigenkirchen - In Burgen und Residenzen wurden oft Rundkirchen errichtet. Hierzu sind die Zentralräume der römischen Kaiserpaläste (Spalato, Chrysotriklinio in Byzanz) Beispiele. Sie sind in Europa als doppelgeschossige Pfalzkapellen verbreitet: die Pfalzkapelle in Aachen wurde Vorbild für Groningen, Nymwegen, Mettlach, Ottmarsheim, Diedenhofen, Egisheim, Hagenau, Notkerkapelle in Lüttich, Wimpfen, u.a.m.
heidnisch altchristlich romanisch gotisch
Baustoff Quaderbau Ziegel (Ausnahme: Syrien) Werkstein, verputzter Bruchstein Hausstein, Ziegel
Anordnung der Schiffe Seitenschiffe herumlaufend,
1/3 der Mittelschiffbreite
Seitenschiffe herumlaufend,
1/2 oder 1/3 der Mittelschiffbreite
Seitenschiffe parallell zum Mittelschiff,
1/2 der Mittelschiffbreite
Seitenschiffe parallel zum Mittelschiff,
1/2 der Mittelschiffbreite
Gestaltung der Apsiden Apsiden durch Säulen vom Hauptraum getrennt. Für Richter oder Götterbild Apsis frei zum Mittelschiff sich öffnend. Durch Trimphbogen betont. In Apsis Bischofssitz, unter Triumphbogen der Altar Altar in Apis, Apsis durch Vorchor vom Querhaus getrennt Apsis polygonal, oft mit Umgang versehen
Westeingang Portikus Innerer Narthex, Atrium vielfältige Westbauten, gelegentlich Atrium Doppel- oder Einturmfassade
Gewölbe selten gewölbt nie gewölbt selten gewölbt meist gewölbt
Querhaus ohne Querhaus bei großen Kirchen Querhaus meist Querhaus meist ohne Querhaus
Stützen Säulen, selten Pfeiler m. Halbsäulen Säulen meist Pfeiler gegliederter Pfeiler
Turm ohne Glockenturm Campanile vieltürmig Doppel- oder Einturm

Basiliken über die Jahrhunderte (39)

"Heiliger Ort der Basilika ist der Chor, dessen Hauptteil die Apsis ist. Sie kann mannigfache Gestalt haben, verschiedene Anordnung erfahren und auch vervielfacht werden. In ihrer einfachsten und verbreitesten Form, als angehängter halbrunder Bau, der durch eine Halbkuppel eingedeckt ist, reicht sie bis in die heidnische Zeit zurück und ist vor allem im Mittelmeerraum zu finden ... in altchristlicher Zeit stand in der Apsis der Bischofsstuhl, entlang ihrer Innenwand lief die Bank für die Presbyter." (44)

Die Apsis gibt es in verschiedenen Ausführungen: (44-47)

  • Rechteckapsis - Sie besteht aus einem Rechteck, das dem breiteren Schiff vorgelagert ist.
  • Rundapsis - Sie ist ein Halbrund, das dem breiteren Schiff vorgelagert ist.
  • mit Nischen versehene Apsis - Sie ist meist nur bei großen Kirchen anzutreffen.

Die Apsis mit Umgang und Kapellenkranz gehört zu den zusammengesetzten Typen und hat als solche eine Entwicklung bis zur Endform durchgemacht. (47)

"Der Akzent in der Entwicklung der basilikalen Baugefüges liegt im Osten. Hier wirkten sich die Anforderungen der Liturgie und des Ritus in den Anordnung der Räume aus, hier wurden die mannigfaltigsten Lösungen gefunden. Der Westen der Kirche, der als Laienraum der Gemeinde vorbehalten war, konnte mit wenigen Typen den Anforderungen genügen. Und doch lassen sich auch hier, vornehmlich im 9.-13. Jh. Abwandlungen feststellen, die auf eine sich verändernde Bedeutung des Laien im Verhältnis zum Chordienst hinweisen." (68)

Bei altchristlichen Kirchen bleibt als Überbleibsel des antiken Portikus und als Abkürzung des Atriums oft ein vor der Fassade lagernder Säulengang, der mit einem Pultdach bedeckt, als Sammlungsraum dient (St. Paul vor den Mauern (Rom), Hagia Sophiea (Konstantinopel)). - Der innere Narthex, ein Vorraum in der ganzen Breite der Kirche, der für die Büßenden bestimmt war, ist im allgemeinen auf die Zeit vor 1000 beschränkt. Ein innerer Vorraum wurde durch einen Westturm geschaffen. Dann bildet das untere Turmgeschoß eine Vorhalle, über der sich oft ein Emprengeschoß (als Orgel- oder Sängertribüne) erhebt (Maria im Kapitol (Köln), St. Willibrord (Wesel)). Dieser innere Narthex kann auch durch zwei vor den Seitenschiffen stehende Türme entstehen. Die Doppeltürme können auch eine äußere Vorhalle erzeugen. (71)

"Eine besondere Stellung nimmt in der Geschichte der mittelalterlichen Baukunst das sogenannte Westwerk ein. Es handelt sich um einen Bautyp, der nur in der Zeit vom 9.-11.Jh. in seiner vollen Entfaltung zu finden ist und der seine Verbreitung nur auf fränkischem Boden hat." (72)

"Das Westwerk muß als Ganzes genommen werden, da es auch wichtige Eigenschaften im aufgehenden Mauerwerk offenbart und da es mehr noch als die Krypten zeitlich und räumlich abgrenzbar ist. Es wird aber bei der Behandlung der Grundrisse eingeordnet, da es nach seiner Auflösung wichtige Westbaugestaltungen, die im Grundriß abzulesen sind, liefert." (72)

"Das Westwerk ist ein Zentralbau, dessen östlicher, an die Basilika anschließender Flügel fehlt. Im äußern wirkt das Westwerk wie ein zweigeschossiger Querbau, der in der Mitte einen Turm trägt. In den westlichen Winkeln pflegen Treppentürme zu stehen. Im Innern ist der Turm meist zwei- oder dreigeschossig. Das untere, als Krypta gestaltete Geschoß (auch so benannt) diente als Eingangsraum und teilte so eine Eigenschaft mit den anderen schon erwähnten Westlösungen, außerdem wurde in diesem Raum bestattet (wie in der echten Krypta auch), sammelten sich Prozessionen (wie in den Vorkirchen) und wurden auch Sendgerichte abgehalten ... Das über dem Eingang liegende Geschoß konnte als Gemeindekirche dienen, als Nonnenchor, hier wurden Taufe und Oster-Kommunion abgehalten. Auch fand hier ein hoher weltlicher Herr, etwa der Kaiser, Platz, um am Gottesdienst teilzunehmen. ... In der liturgischen Symbolik galt das Westwerk als Verteidigungsanlage des himmlischen Jerusalem, welche die Kirche vor den von Westen andringenden bösen Mächten schützt (Kaiser = Hl. Michael)." (74)

"Wahrscheinlich ist das Westwerk eine Aufnahme des byzantinischen Zentralbaus durch Karl d.Gr., der den Gedanken der fränkischen Eigenkirche mit dem des byzantinischen Kaisertums verband. Bezeichnenderweise erscheint das Westwerk immer in Verbindung mit einer Basilika, wodurch die besondere Lage des abendländischen Kaisertums, die Verbindung mit dem Papsttum, deutlich wird." (75)

"Die Krypta - wesentlicher Bauteil der romanischen Kirche - stellt in ihrer vollendeten und verbreiteten Ausbildung einen Hallentyp dar: eine Anlage von mehreren gleichhohen Schiffen. Bis sie diese Form gefunden hatte, machte sie verschiedene Stufen in ihrer Bedeutung und architektonischen Gestaltung durch." (91)

"Meist bezeichnet in der Frühzeit das Wort 'cripta' eine Grabkammer, die als unterirdischer, gewölbter Raum später in Verbindung mit einer Kirche gebracht wird." (92)

"Der Haupteingang der altchristlichen Kirchen, der meisten Beispiele der romanischen und gotischen Epoche ist im Westen, verbunden mit einem Atrium oder einem größeren Platz. Hier erfolgt die Entfaltung zu seiner größten Kraft." (212)

"Bei den Klosterkirchen führt oft das wichtigste Portal aus dem Kreuzgang in die Kirche, auch die doppelchörigen Anlagen haben das Hauptportal an einer Breitseite. In diesem Falle ist das Portal in seiner Höhen- und Breitenausdehnung beschränkt." (212)

Das Portal wurde in verschiedenen Formen ausgeführt: (214-

  • Rechtwinkliges Gewände mit geradem Sturz oder Giebel
    Die einfachste Portalform sind zwei aufrechtstehende Monolithe als Pfosten und ein querliegender als Türsturz.
  • Rechtwinkliges Gewände mit Rundbogen
    Seit röm. Zeit ist das einfache Rundbogenportal die übliche Form.
  • Verbindung von geradem Sturz und Bogen
    Es ist ein Rundbogenportal mit einem Türsturz, wodurch sich ein Halbkreis (Tympanon) bildet. Dieser Portaltyp entwickelte sich seit dem 10. Jh.
  • Nischenportal
    In der karolingischen und ottonischen Zeit entstand das Nischenportal, eine Nische, die 2 Geschosse umfassen kann und meist den Grundriss eines Kreissegments hat, ist der Mauermasse eingedrückt.
  • Stufenportal
    Das Stufenportal ist vor allem in Deutschland und Frankreich verbreitet. Die Rücksprünge werden in den Archivolten fortgesetzt. Dadurch entsteht ein gewisser Zoom-Effekt.
  • Säulenportal
    Mehrere Säulen tragen den Türsturz oder die Archivolten. Es ist der häufigste Portaltyp des MA.



Scannen: 10, 12, 15, 18, 20, 23, 25, 27, 28, 32, 34-37, 40, 42, 43, 45, 46, 48-53, 55-57, 59, 60, 63, 65-67, 69, 70, 73, 76, 80, 84, 85, 93, 95, 96, 99, 115-117, 120, 121, 124, 125, 134, 135, 138, 142, 143, 159, 161, 163, 165, 166, 168, 170, 172-175, 177, 178, 180, 182, 185, 186, 188, 190, 194, 196, 198, 200, 203, 204, 210, 213, 216,

Wehrkirchen

Karl Kolb: Wehrkirchen in Europa (1983)

Karl Kolb: Wehrkirchen in Europa. Würzburg 1983. (Echter)

Autoren zu Wehrkirchen: (12)

  • Eugène Viollet-le-Duc, Architekt und Baukonservater (1814-1879)
    Sein 10-bändiges WErk "Dictionnaire raissoné de l'architecture francaise du XI. au XVI. siècle" setzte Maßstäbe.
  • Raymond Rey = Zusammenfassung von Wehrkirchen des Midi
  • Pierre Barbier = 4 Aussätze
  • Heinrich Bergner = Rundbauten und die Kirchen auf Bornholm - Deutsche Ritteburgen im Ostpreußen
  • Karl Kafka = Österreich systematisch erfasst - 5 Bücher + viele Aufsätze
  • Meuret = beschrieb die Thiérache
  • Truttmann = Lothringen
  • Sena Sekulic = jugoslawische Wehrkirchen

"Die Menschen suchten Schutz, die Kirche war oft der einzige Steinbau, zudem bestand die Hoffnung, man würde aus Ehrfurcht vor dem Heiligtum den Kopf um die Kirche scheuen. Bei allen aber, die sich über solche Hemmungen hinweggesetzt hatten, galt die Kirche it all dem, was dort eingelagert war, als willkommene Beute und war somit erst recht verlockend." (14)

"Schon 1059 faßte das römische Konzil einen Beschluß, den Papst Nikolaus II. beim Friedensschluß mit den Normannen in einer Bulla an die Bischöfe von Gallien, Aquitanien und der Gascogne verkündete. Danach galten Kirchen, Friedhöfe um Kirchen und Kapellen als religiöses Asyl, und alle, die mit Gewalt in deren Umgrenzungen eindrangen, wurden exkommuniziert. Das Konzil von Lillebonne in der Normandie erlaubte dann 1081 den Einwohnern, in Kriegszeiten im Kirchhof Zuflucht zu suchen. In Friedenszeiten mußten ihnn alle wieder verlassen, die dort nicht wohnten. Ähnliche Beschlüsse wurden von den Bischöfen und den Regionalkonzilien gefaßt. Damit war nur die bisherige Gewohnheit bestätigt." (14)

"Die Arbeiten von Rey beweisen, daß die meist von Syrern gebauten Kreuzritterburgen im Heiligen Land das Vorbild für befestigungstechniken an den Wehrkirchen im Süden Frankreichs waren. Von frühchristlichen befestigten Kirchen abgesehen, waren zunächst die Ordensburgen die markantesten Beispiele christlicher Verteidigungs- und Sicherungsbemühungen. Sie wurden in Osteuropa, Spanien, Italien und im Heiligen Land notwendig. Sicher bedurfte schon die Christianisierung durch Bonifatius, Otto und andere eines sicheren Schutzes." (14)

"Oft mag allein die Tatsache, daß die Befestigung einer Kirche bekannt war, davon abgehalten haben, den Ort zu überfallen; denn für rasche Raubzüge waren unbefestigte Orte lohnender und gefahrloser.
Umgekehrt stellte eine Kirchenburg eine große Macht, meist in der Hand der Bauern, dar. Der Landesherr pflegte sich gegen sie zu schützen, indem er ein 'Öffnungsrecht' beanspruchte, das heißt, die 'Burg' durfte vor ihm nicht verschossen werden. Außerdem konnten sich Landesherr und Bischof ins Gehege kommen." (15)

"Zunächst geplant zur Abwehr von Sarazenen, Hussiten oder Katharern, spielte die Kirchenburg oft auch bei den Fehden unter den Herrschaften eine Rolle. Zweifellos wurden bei Aufständen Kirchenfestungen selbst durch Bischöfe erstürmt und geschleift." (15)

"Ob eine Kirche befestigt werden durfte oder nicht, blieb mancherorts bis ins 17. Jahrhundert von der Zustimmung des Bischofs abhängig. Das konnte ein Privileg sein oder manchmal auch eine Forderung des Bischofs oder Landesherrn, einerseits die Bevölkerung zu schützen, andererseits, um den Feind aufzuhalten und damit Zeit für eigene Rüstungen und Verteidigungen zu gewinnen." (15)

Chorturmkirche
"Eine Chorturmkirche erkannt man nicht immer sofort als Wehrkirche. Der mächtige Turm bleibt bis auf Schlitze unten fensterlos. Das Kirchenschiff wurde später oft erweitert und verändert. Der Turm birgt unten den Altarraum, darüber folgen Aufenthalts- und Wehrstockwerke, nur durch eine enge Treppe innerhalb der Mauerstärke verbunden oder gar nur mittels einer Leiter. ... In Franken, Baden-Württemberg, auch in Bayern und Österreich trifft man diese Form imer wieder, wie in Urphar. Da und dort liegen unter dem Altarraum Keller oder Ausgänge zu einem Erdstall." (16)

Rundkirche
"Lagen bei einer Chorturmkirche die Schutz- und Verteidigungseinrichtungen über dem Chor, so können sie sich bei einer Rundkirche über dem Raum für die Gläubigen viel weiter ausdehnen. Aber auch hier erfolgte der Zugang zum Chor aus durch eine schmale Türe, die oftmals sogar einige Meter über dem Fußboden liegt, wie etwa in Bornholm.
Eine andere Art runder Wehrkirchen besteht aus einem festen Turm, an dem ein Kirchenschiff hängt, wobei der Turm zugleich Eingang zur Kirche sein kann. Oeverseee etwa hat getrennte Eingänge für Kirche und Turm, ebenso Zetting (Lothringen). In Oeversee gab es für Männer und Frauen eigene Zugänge. Während die Frauen durch ein heute zugemauertes einfaches Portal die linke Seite der Kirche betraten, diente den Männern auf der rechten Seite ein jetzt noch vorhandener Vorbau, in dem sie ihre Waffen abzulegen hatten." (16)

Donjonkirchen
"Diese Donjons besitzen mehrere übereinanderliegende, bewohnbare, oft mit einem Kamin versehene Räume. Sie haben Vorratsspeicher, Schlafmöglichkeiten, Wasser und Kochstellen, waren aber nicht ständig bewohnt, es sei denn von einer Wachmannschaft. Das Erdgeschoß beherbergt die Kirche.
Der Zugang in den ersten Stock führt immer entweder durch ein schmales seitliches Treppentürmchen oder einen enge Treppe in der Mauer.
Gewöhnlich besitzt der Donjon Schießscharten, Gußerker, Pfefferbüchsen - sowohl unmittelbar am Turm als auch an kleinen seitlichen Türmen, um von dort aus das Eindringen von Feinden in die Kirche zu verhindern. Das oberste Stockwerk diente der Beobachtung und, wie Zinnen oder Eckpfefferbüchsen beweisen, der Verteidigung." (19)

Fortkirchen
Fortkirchen sind im Grunde "nichts anderes als das Westwerk großer Dome und Klöster: eine eng mit der Kirche verbundene wuchtige Verteidigungsanlage. ... Vom Westwerk unterscheidet sich das Fort durch seine Geräumigkeit und seine Schutz- und Zufluchtsräuem. Im Westwerk ist dafür selten Platz vorhanden." (19) In der Thiérache gibt es mehrere Fort-Kirchen.

Westwerk
"Die Bezeichnung 'Westwerk' meint hier immer die Verteidigungs- oder Schutzanlage an der Westseite der Kirche, nicht das Westwerk karolingischer Kirchen. Hier wird dieses Wort nur wehrtechnisch verwendet. Meist weisen die Kirchen inmitten einer Stadt oder Klosterkirchen eine solche Wehranlage auf." (20)

Befestigte Fassade
Ein typisches Beispiel für die befestigte Fassade ist Chaise-Dieu. Die Kirche besitzt zwar einen Donjon, doch im Westen - kein Westwerk! - zwei mächtige Türme, die durch einen Wehrgang verbunden sind. Bei einfachen Anlagen hat die Kirche in ihrer Fassade Schießscharten, aus denen vom Dachboden her geschossen werden konnte, so in Kraig (Österreich). (20)

Befestigte Glockenwand
Vor allem im Midi findet sich die befestigte Glockenwand. Sie ähnelt der befestigten Fassage, jedoch mit darüberliegender Glockenwand. Bespiele sind Pujols und Rieucros. (20)

Befestigtes Chorhaupt
"Mit der Chorturmkirche hat das befestigte Chorhaupt nur den Platz über dem Altarraum gemeinsam. Über dem Chor befand sich der Raum für die Wachmannschaften, ebenso für Verpflegung, Waffen und Munition. Darüber eine zinnenbestückte Plattform zur Beobachtung und Verteidigung, dazwischen können weitere Stockwerke liegen." (21)

Befestiges Schiff
"Dome und andere große Kirchen besitzen innen einen Rundgang in vier bis fünf Meter Höhe rund um das Schiff und sind, wenn eine Fassadenwehr vorhanden ist, mit dieser verbunden." (Dom von Bonn, Regenburg, Limburg, Speyer, Liebfrauen in Trier, St. Gereon in Köln, St. Castor in Koblenz, Andernach, Sinzig, Comrich, Schwarz-Rheindorf). - Die andere Abwehrstellung bietet das Kirchendach selbst, das rundum mit Zinnen bestückt ist (Esnandes, Saintes-Maries, Saint-Andiol, Kathedrale von Albi). - Zuweilen wurde der Raum unter dem Kirchendach zum Schutzraum für die Bevölkerung, oft in Verbindung mit anderen Wehranlagen (Chorturm oder Westwerk). In vielen Kirchen war dieser Platz für die Familien durch Lattenverschläge unterteilt (Wettringen). (21)

Steinhelm
"Einige mit Zinnen versehene Kirchtürme haben als oberen Abschluß - innerhalb des Zinnenkranzes - einen steinernen Helm. Er gilt als Rückenschutz der Verteidiger. So konnten sie, wie in Hörstein bei Hanau, von hintennicht beworfen oder beschossen werden." 23)

Vierungsturm
"Eine seltene Erscheinung ist der Vierungsturm. Seine Lage dürfte einige Nachteile mit sich gebracht haben. Manchmal entstand er erst durch spätere Anbauten, wie in Chaourse, woe man deutlich sieht, daß der jetzige Chor nachträglich hinzukam, ohne genau zu wissen, ob es schon einen Vorgänger gegeben hat." (23)

Burgformen

Befestigter Kirchhof
"Der befestigte Kirchhof ähnelt der Kirhcenburg, nur bliebt die Kirche selbst unbefestigt." (24)

Gadenburg
"An die Befestigungsmauer des Kirchhofs sind innen kleine Häuschen oder Schuppen, die Gaden, angelehnt. Die Dorfbewohner konnten in Kampfzeiten dort Zuflucht finden und waren mitsamt dem Kleinvieh. Auf alle Fälle lagerte man hier das ganze Jahr über Vorräte, oft auch Wertgegenstände ein. ... Ein anderer, vor allem in der Steiermark gebräuchlicher Name für die Gadenburg ist Tabor." (24)

Kirchenburg
"Bei dieser Form ist nicht nur die Kirche auf die eine oder andere Art (Chorturm, Chorhaupt, befestigte Fassade) befestigt, es umgibt sie eine starke Mauer mit Schießscharten, Wehrgängen, Ecktürmen und ein Torhaus. Diese frühe, weitverbreitete Form ist heute allerdings mit wenigen Ausnahmen nur mit Hilfe der Archive nachzuweisen." (25)

Fliehburg
"Heute lassen sich nur noch wenige Fliehburgen, wie Burgbernheim nennen, denn sie sind architektonisch kaum von anderen Kirchenburgen zu unterscheiden. Die Besitzverhältnisse, die Organisationsform und die Aufgabenstellung waren aber entschieden andere.
Burgbernheim war mit Türmen, Torturm, Zugbrücke und Kirche Zuflucht für mehrere umliegende Dörfer. Das geht aus alten Dokumenten hervor. Die einzelnen Orte konnten je einen Turm der Anlage für sich beanspruchen. Diesen mussten sie nicht nur betreuen, sondern auch verteidigen." (25)

Erdställe und Souterrains
In einigen deutschen Orten gab es unterirdische Gänge, in denen sich die Bürger in Gefahrenzeiten meist von der Kirche aus verstecken konnten. Manchmal war die Kirche auch mit anderen Gebäuden unterirdisch verbunden, so in Nierstein und Perchtoldsdorf.
In Frankreich waren die Soutterrains systematischer angelegt. Sie boten mit ihren unterirdischen Verzweigungen Schutz für die einzelnen Familien, wie in Domqueur.

Die Lage

Höhenburg
"Diese Form kann eine von den bereits beschriebenen sein, aber die Lage bestimmt besondere Techniken, wie in Arzberg im Fichtelgebirge (Oberfranken) oder bei den Felsenklöster in Griechenland." (26)

Wasserburg
"Für die Wasserburg gilt das gleiche: Lage und Möglichkeit, sich mit Hilfe von Wassergräben zu schützen, kennzeichnen diese Technik." (26)

Teil der Stadtbefestigung
"Bei befestigten mittelalternlichen Städten ist die Kirche oder auch das Kloster in die Stadtmauer miteinbezogen und Teil der Stadtbefestigung, wie im alten Köln." (26)

Ordens- und Kapitelbauten

Klosterburg
"Eine Klosterburg entspricht meist einer befestigten kleinen Stadt. Murbach oder Wissembourg (Weißenburg) hatten zudem ein ausgeklügeltes Prorats- oder Burgensystem, das die Zufahrtswege zum Mutterkloster sicherte. Andere besaßen zusätzlich zu den übrigen Befestigungen einen Donjon, wie Montmajour bei Arles oder Chaise-Dieu, bei Brioude." (29)

Ordensritterburg
Die Ordensritterburg untescheidet sich von einer gewöhnlichen Burg durch ihre Klosterkirche. Eine profane Burg besaß meist nur eine Kapelle. (29)

Wehrkathedralen
Ein klassisches Beispiel für Wehrkathedralen ist die Kathedrale von Albi, bei der schon bei der Planung der Turm, die Innen- und Dachverteigung, das Chorhaupt und die äußeren Wehrmauern berücksichtigt wurden. Es ist nicht nur eine Glaubensburg, sondern auch eine echte Wehrburg, bei der alleine das Dach eine eigenen Burg darstellt. (30)

Königsklöster
"Königsklöster bilden eine spanische Besonderheit, die aus der Bedeutung des Königs für die Befreiung aus moslemischer Herrschaft hervorging. Der König hat den Kampf getragen und hat die Klöster zur Sicherung der rückeroberten Gebiete gegründet oder verstärkt, wie Ávila. Sie besitzen allesamt eine Kathedrale, sind Residenz, Kloster und Befestigung." (30)

Wehrdörfer

Siebenbürger Kirchenburg
Ihr Kern bildet die Gadenburg. Das Dorf selbst war nur bedingt befestigt. Die Kirchenburg hatte echten Festungscharakter und konnte das ganze Dorf aufnehmen. Dadurch ergab sich eine schwache Wehrmauer um das Dorf und eine starke um die Kirchenburg. (32)

Bastide
"Bei den später in Frankreich angelegten Bastiden bildete das ganze Dorf einen Verteidigungseinheit. Die Kirche bietet dagegen nur bedingt Schutz, umgekehrt aber schützte das Dorf oft die Kirche, dort wo sie hinter dem Wehrmarktplatz liegt. Manchmal wird sie in den Marktplatz meineinbezogen, wobei der Marktplatz immer den letzten inneren Verteidigungsring bildet. Nach außen waren die Orte - Monpazier heute noch - mit Mauer und Tortürmen abgesichert." (32)

Bastion Gottes
"Dieses meist nicht auf den ersten Blick erkennbare wehrhafte Dorf findet man in Frankreich und Italien. Da ich für diese Form keine andere Bezeichnung fandd, will ich es bei diesem poetischen Namen belassen.
Das Dorf bildet eine dichtgedrängte Einheit, schmale Gassen und enge Durchgänge behinderten das Vordringen zur befestigten Kirche, die man zwar von weither schon gesehen hat, im Ort selbst aber immer nur als schnalen Ausschnitt erblicken kann. Neben den militärischen Einrichtungen sollte dieses Verwirrspiel den Feind aufhalten, zudem konnte er nur schwach bewaffnet eindringen und zwar durch die Enge und die Sackgassen am Waffengebrauch gehindert: eine schwer einnehmbare Bastion. Schöne Beispiele bieten Baixas und Montblanc." (32)

Kerngebiete der Wehrkirchen

Karl Kolb listet als Kerngebiete der Wehrkirchen in Europa auf: (34-36)

  • Küsten
    Europa war vom Meer her sehr gefährdet. Sarazenen fielen im Mittelmeer nach Europa ein, Normannen vom Atlantik her. So ergab sich die Notwendigkeit von Wehrkirchen entlang der Küste.
  • Rhônetal
    Eine natürliche Grenze Frankreichs ist die Rhône, an der bis zur Mündung Wehrkirchen stehen, meist auf der rechten Seite.
  • Pyrenäen
    Auf spanischer wie auch französischer Seite der Pyrenäen sind Wehrkirchen zur Sicherung der Grenze.
  • Thiérache
    Da die Thiérache ein ständiges Kampfgebiet war, das häufig den Besitzer wechselte, musste sich die Bevölkerung selbst schützen. So entstand in der Thiérache eine Selbstverteigung der Bürger mit einer eigenen Form an Wehrkirchen.
  • Alpen
    Von der Rhône bis zur Donau bilden die Alpen eine natürliche Ost-West-Grenze. So entstanden im Norden und Süden der Alpen Wehrkirchen.
  • Donauländer
    In den Donauländern gibt es zwei große Massierungen an Wehrkirchen: im Nordwesten bis weit in die heutige Slowakei hineingreifend und im Südosten bis in das heutige Rumänien reichend (Siebenbürgen).
  • Rheintal
    Wie an der Rhône, so reihen sich auch am Rhein die Wehrkirchen von Basel bis zum Rheinmündungsdelt des Rheins, meist auf der linken Seite.
  • Inseln
    Die Bevölkerung der Inseln mussten sich schützen. Sie bauten daher Wehrkirchen.
  • Bischofssitze und Abteien
    Religiöse Zentren bedurften eines besonderen Schutzes. Vermuteten Räuber besonders dort Gold und Edelsteine. So umgaben Bischöfe und Äbte ihren Sitz mit einem Kranz an Wehrkirchen in den Richtungen, aus denen Gefahr drohte. Sie sollten den Feind aufhalten, um die eigene Wehrhaftigkeit zu optimieren. Die großen Klöster lagen meist einsam, während der Bischof in einer Stadt residierte.
  • Wehrkirchenstraßen
    Entlang gefährlicher Routen wurden auch Wehrkirchen errichtet. Der moderne Fremdenverkehr fasst einige dieser Wehrkirchen zu modernen Routen zusammen, so z.B. die Route des Bastides.

Wehrkirchen im Orient
Die Geburtskirche in Bethlehem, die Kaiser Konstantin in ihren wesentlichen Teilen wieder aufbaute, war schon zuvor stark befestigt. Ihre Verteidigungsanlagen wurden wieder zerstört. - Das Kloster St. Saba in der Wüste Juda gleicht einer mit Trümmern versehenen Festung. - Das Katharinen-Kloster auf dem Sinai ist ein herrausragendes Beispiel eines befestigten byzantinischen Klosters. Seine ältesten Teile stammen aus der Zeit Kaiser Justinians. - Der Kapellen-Donjon von Bordj-Safita (Chastel-Blanc) in Syrien, eine Templerburg, wurde zum Muster für die Donjons des Templerordens. Nachahmungen findet man in Cruas, Larressingle und Rudelle]] sowie im befestigten Priorat Chartreuse.

"Es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, daß sich ein Feuersignialsystem längs der ganzen Küste hinzog. Wir dürfen annehmen, daß diese Wach- und Verteidungstürme besonders entlang der Küste eine fortlaufende Kette bildeten." (53)

"Neben dem, was rund um Italiens Küsten aufgezeigt wurde, bleiben einige wenige kirchlich Wehrbauten - vor allem Klosterburgen -, die unabhängig von der Bedrohung vom Meer her entstanden. Die Städterivalitäten, insbesonders im Norden - mit gelegentlichen fast vollständigen Zerstörungen -, prägten die Architektur stärker als reine Religionskriege wie in Frankreich. So ist es nicht verwunderlich, daß es in Italien mehr als genug Burgen gibt oder doch zumindest deren Reste, nicht aber Kirchenburgen." (70)

In Langeudoc, Rouergue und Roussillon sind ungefähr 150 Wehrkirchen, in Guyenne, Gascogne und Béarn noch ungefähr 70, ebenso in Limousin, Périgord und Quercy ca. 70, in Anjou, Poitou, Aunis und Saintonge rund 40, in den Ardennen, Champagne, Thiérache, Picardie und Artois ungefähr 90 (alleine in Thiéarche noch über 50), in der Auvergne, Viverais und Gévaudan noch ca. 35. In Südfrankreich zählt man noch 360 Wehrkirchen. (96)

Es ist eine Eigentümlichkeit des italienischen Städtebaus, dass manche Kirchen von fernher schon lange sehen kann, in der Stadt aber schwer zu finden sind. Dies ist eine doppelte Schutzmaße: Zum einen konnten über den hohen Kirchturm weit in das Umland hineingeblickt und damit große Truppen früh erkannt werden. Zum anderen schützen nach dem Eindringen des Feindes in den Ort die engen Gassen und verwinkelten Straßen die Kirche vor einem raschen Vordringen. Manchmal konnte der Feind auch in der Stadt aufgehalten werden. Dies war das Konzept der "Bastion Gottes". "Wer eine dieser kleinen Städte, etwa Montblanc, durchwandert, Gäßchen für Gäßchen, einen Durchgang nach dem anderen, wird erst nach einigen Irrwegen endlich zur Kirche gelangen. Nicht zufällig ist das Gewirr entstanden, sondern mit System. So wurde der Ort insgesamt zur Bastion, in deren Zentrum die Wehrkirche eine letzte Abwehrstellung bildete." (106)

Bastiden: "Die Hauptlast der Verteidigung trug jedoch nicht die Kirche, sondern der rundherum geschlossene Platz, dessen Häuser untereinander verbunden sind - auch an Ecken. ... Das Prinzip war dem der Kathedralen ähnlich. War der Feind bis hierher vorgedrungen, versuchte man ihn von oben aus zu bekämpfen. Die äußere Befestigung sollte es nicht so weit kommen lassen. Insofern unterschieden sich diese Dörfer kaum von Städten. Während aber Städte allmählich gewachsen waren und dann eine Befestigung erhielten, wurden die Bastiden von vornherein als Wehrdörfer geplant." (108)

Die Frot-Kirchen in der Thiérache: "Die Entstehungszeiten der verschiedenen 'Forts' in der Thiérache hängen deutlich mit politischen Ereignissen zusammen. Jean-Paul Meuret hat eine Liste von zwei Dutzend Wehrkirchen zusammengestellt, die alle innerhalb von 150 Jahren von 1550 bis 1700 entstanden sind." (116)

"Wo immer sonst in Europa Wehrkirchen oder Kirchenburgen entstanden, waren sie Schöpfungen der Ortsherrschaft und der Bewohner, wobei die gegenseitige Beziehungen sehr unterschiedlich sein konnten: befohlen, erlaubt, zugelassen, finanziert oder sogar in Opposition.
Anders in der Thiérache. Hier bauten sie die sogenannten 'Communautés' der Bewohner, also Gemeinschaften oder besser Notgemeinschaften, ohne herrschaftliche Befehle oder Akte. Am Ende des 16. Jahrhunderts war die Herrschaft der Herren und Äbte deutlich im Schwinden begriffen. Die Gemeinschaften übernahmen auch sonst die Verantwortung für die Kirchen. Sie waren bei Reparaturen und bei Überfällen meist allein auf sich gestellt." (118)

"Die für die Thiérache charakteristische Form dagegen ist der Turm über dem Westportal der Kirche, der hier 'Fort' genannt wird. Diese Forts sind weniger Verteidigungseinrichtungen als Schutzräume. Sie konnten die gesamte Bevölkerung eines Dorfes zusammen mit ihrer wertvollsten Habe aufnehmen. Die Schießschaften befinden sich meist in den Türmchen an den Flanken, wobei eines die Zugangstreppe zum Fort enthält." (118)

Gewöhnlich hatten diese Forts 3 Etagen. Die unterste war für die Wachmannschaft bestimmt. "Alle Etagen hatten einen Kamin. Das Erdgeschoß bildet jeweils die Vorhalle zur Kirche. Diese Vorhalle besitzt indes keinen Zugang zu den darüberliegenden Stockwerken. Wie sehr die ganze Anlage vordringlich als Schutz gedacht war, zeigt ihre Konzentraktion auf diese Forts. Von den Flankentürmen konnte der Eingang bewacht und beschossen werden, Gußerker direkt über dem Portal boten weitere Möglichkeiten. Selbst ein in die Kirche eingedrungener Feind wurde dort bekämpft, denn vom Fort aus gab es Schießschaften in das Schiff der Kirche. Es ist eine Art der Verteidigung, die dem in Deutschland, besonders in Franken, verbreiteten Chorturmsystem genau entgegengesetzt ist. Die eine konzentriert alles, über - oder sogar unter - dem Altarraum, die andere alles über dem Portal." (119)

"Zwar nicht in Prisces, indes an anderen Kirchen der Thiérache, wurden am Chor oder am Querschiff weitere Verteidigungstürmchen oder Erker angebaut, wie in Plomion. Übereinstimmende Merkmale lassen auf eine Bauhütte schließen, die alle diese Bauten nacheinander ausführte. ... In der Thiérache bleibt die Kirche oder besser das Fort die Zufluchtsstätte. Ringmauern oder befestigte Friedhöfe sind zweitrangig. Gewiß ist anzunehmen, daß es Gräben um den Friedhof gab, aber kaum etwas läßt auf Einrichtungen schließen, die einer Kirchenburg ähneln könnten." (119)

"Drei große französische Klosterburgen ragen aus der Vielzahl solcher Anlagen durch ihre Eigenart heraus: St-Honorat, St-Victor und St-Michel. Jede davon in exponierter Lage, die zugleich ihre Form mitbestimmt hat: St-Honorat auf der Klosterinsel im Meer, St-Victor im alten Steinbruch im Hafenbecken und St-Michel als Inselfestung." (120)

Saint-Honorat
Im Jahr 732 kamen die Sarazenen mit 7 Schiffen auf die Insel und metzelten Procaire, den Abt des Klosters, und 500 seiner Mitbrüder nieder. Im 7. Jh. bildete das neu errichtete Kloster der Insel einen Klosterstaat, in dem nach alten Berichten rund 3.700 Mönche lebten. Zum Klosterstaat gehörten 2 große und 2 kleine Inseln. 70 Heilige und zahlreiche Bischöfe gingen aus dem Klosterstaat hervor.
Um den Verlusten durch ständige Überfälle etwas Wirksames entgegen zu setzen, befahl der Abt den Bau eines außergewöhnlichen Donjons. Der mächtige Turm birgt ein ganzes Kloster mit Kirche, Kreuzgang und allen zum Leben notwendigen Räumen. Was sonst nebeneinander angeordnet ist, ist in diesem Turm übereinander. Der Donjon wurde so solide gebaut, dass er die Zeiten überdauerte, während die beiden alten Kirchen und 7 Kapellen durch Neubauten ersetzt werden mussten oder Ruinen sind.
Der Historiker Barralis (16. Jh.) nennt 90 Räume, von denen 36 von Mönchen als Zellen dienten, 5 den Hilfskräften, 4 waren Kapellen. Es gab 2 Zisternen, 2 große und zahlreiche kleine Treppen, 88 Türen und über 100 Fenster, die meisten davon nach innen gerichtet.
Das Kloster war auch ein Teil der Wachturmkette entlang der Küste mit Cannes, Fréjus und anderen Küstenstädten. (120)

Saint-Victor
Die äußerlich imposante Kirche verblüfft innen. Das hohe fensterlose Schiff und die Seitenschiffe gehören zu oberirdischen Wehranlagen. Die Krypta gehört zur unterirdischen Wehranlage. "Rings um dieses frühe Heiligtum gruppieren sich verschieden große, hohe und weite Gottesdiensträume oder besser gesagte mehrere Unterkirchen, und man vergißt, daß man sich tief unter der Erde befindet, benachbart einem antiken Steinbruch.
Dem Besucher dieser Unterkirche von Saint-Victor fällt es selbst dann schwer, sich zurechtzufinden, wenn er zuvor versucht hat, sich anhand des Planes ein Bild zu machen. Hier wurde seit dem 5. Jahrhundert ununterbrochen gebaut und gegraben. Nicht weniger als fünf Kapellen, ein Atrium, Märtyrergräber, Katakomben und Grotten liegen in der Erde. Was oben von außen wie eine trutzige Festung wirkt, läßt nicht erahnen, was sich im Innern des Berges verbirgt." (121)

Saintes-Maries
"Das Bild dieser Klosterfestungen wäre nicht vollständig, wenn man ihnen nicht eine völlig anders organisierte Wehrkirche gegenüberstellen könnte: Les Saintes-Maries-de-la-Mer. ... Hinter dieser Wehrkirche stand kein Kloster. Gefährdete Gemeinden schufen sie, später stand sie unter dem Schutz des Königs. Die nahezu fensterlose, gut ausgebaute Seefestung stammt in ihrem Kern aus dem 9. Jahrhundert. Ihr heutiges Gesicht erhielt sie im 12. Jahrhundert: ein einziges, sehr rustikales Schiff mit Apsis. Darunter befindet sich die Krypta mit Brunnen. Der Dachkranz trägt Schießschaften und Maschikulis. Über dem Chor sitzt ein Verteidigungs- und Beobachtungsturm mit Aufenthaltsräumen für die Wachtmannschaft mit entsprechendem Waffenlager. Seinen Kern bildet die 'Hohe Kapelle' mit den Reliquien der heiligen Marien. Die Krypta erhielt erst 1349 ihre jetzige Form. ... Diente der Donjon von St-Honorat zum Schutz und zur Verteidigung der Mönche, so hatte die Kirchenfeste Saintes-Maries andere Aufgaben. Neben dem Schutz der Bevölkerung des Ortes und der näheren Camargue bestand die Hauptaufgabe der Wachtmannschaft aber im Schutz der Reliquie, einer damals wichtigen Pflicht, der wir bei vielen anderen Kirchen wieder begegnen." (121)

Mont Saint-Michel
Die Inselfestung Mont Saint-Michel haben die Engländer trotz wiederholter und ausdauernder Belagerung nie erobert. Sie konnten sich zwar auf der ca. 3 km nördlich gelegenen Insel Tombelaine festsetzen konnten. Jahrhunderte lange Arbeit unter Einbindung der natürlichen Felsen wurde eine uneinnehmbare Festung geschaffen. "Wie am Donjon St-Honorat durch Übereinanderlegen all das untergebracht werden konnte, was sonst in den Klöstern nebeneinader lag, am Mont Saint-Michel hat dieses System letzte Vollendung erlangt. So grandios die hohen Wehrmauern sind und mit dem natürlichen Felsen eine Einheit bilden, hier stehen die Kirchen- und Klostereinrichtungen im Vordergrund. Neben dem hohen Dom liegen drei Stockwerke mit dem Kapitelsaal, Speisesälen, Vorratskellern übereinander und - einmalig - ein vollständiger Kreuzgang auf dem Dach des Rittersaals. Der Garten im Hof des Kreuzgangs ist nicht einmal so verblüffend wie die Konstruktion der Wandelgänge, die durch viele sinnreiche Kniffe so leicht wie möglich gehalten wurden." (122)

"Die Beispiele zeigen Höhepunkte kirchlicher Wehrarchitektur. Sie beweisen, daß es sich nicht immer nur um Anbauten handelte, zu denen bitterste Not zwang. Hier entstand aus dieser Not eigene Bauformen, die Wehrhaftigkeit mit religiösen Aufgaben in Einklang brachten." (122)

Die Wehrkirchen um Metz "besitzen heute die unterschiedlichsten Verteidigungsmerkmale: fester Turm, Schießkarten für Kanonen. Bezeichnend ist, daß in jedem Fall die Kirche selbst befestigt ist, auch wenn, wie in Lessy sie zusätzlich eine Mauer schützt." (126)





zu sannen: 9, 10, 15, 16, 19, 20, 23-26, 29, 30, 32, 41, 43, 49,

Kapitelle

Kyrilla Spiecker: Kapitelle. Künder des Glaubens (1984)

Kyrilla Spiecker: Kapitelle. Künder des Glaubens. Würzburg 1984. (echter)

"Da stehen sie nun, die Augenmenschen unserer Zeit, und bestaunen die Fresken und Kapitelle der Vorfahren. Unbelesene und des Lebens Unkundigen haben in den Wand- und Steinbildern das verkündete Gotteswort wiedererkannt. In dieser 'biblia pauperum' konnten sie die gehörte Glaubensbotschaft nachmeditieren." (7)

"Die 'Beschauer' jedoch nehmen sich Zeit. Im Bilderbuch der Kapitelle begegnen ihre Augen neu Gottes Wort. Sie wollen sich ansprechen lassen. Denn irgendwann beginnen die Steine zu reden. Sie reden von Gott. Sei reden von Gottes tun an den Menschen. Sie reden von Schuld und Vergebung. Sie reden von allem, was Menschen im Herzen bewegt. Sie reden von Gottes übergroßem Erbarmen mit uns.
Sie sind aktuell - diese Steine - wie die Not, die uns umtreibt. Sie wollen ein Gespräch mit uns aufnehmen. Denn diese Steine bergen eine Botschaft, die aus dem Teufelskreis menschlichen Versagens und Unheils hinausführt. Sie verkünden Jesus, den Christus, den Retter der Welt." (8)

"Gott hat sich zwischen die Schlange und die Betörten gestellt. Die Kreuzmandorla weist ihn schon hier als Erlöser der Welt aus, Er steht den Schuldigen zugewandt, ohne sie anzuschauen. Mag auch die erhobene Linke Urteil verkünden; die aufblickenden Augen schauen im vorläufigen Ende schon herauskommenden Anfang." (10)

"Christus wird den Einklang mit Gott wiederherstellen. Er wird uns den Weg zum Lebensbaum bahnen. Denn am Kreuz wird er selber die Frucht am neuen Lebensbaum sein. Von dieser Frucht sollen wir essen. Er reicht uns das Brot des Lebens, damit wir erneut in Gottes Licht und Gottes Liebe wohnen können." (10)

In dem verhältnismäßig kleinen Burgund entstanden in einem Jahrhundert etwa 300 romanische Kirchen. (82)

Über 300 Jahre plünderten die Sarazenen Südfrankreich. Als sie 972 in der Abtei Cluny den Abt Mayeul, ein Heiliger, gefangennahmen, war es ein Schreckenschrei durch die Christenheit in Frankreich. 983 gelang es dem Grafen von Arles mit Verbündeten, die Sarazenen aus ihrem Schlupfwinkel Freinet zu vertreiben. Hierzu rief der Graf zu einem regelrechten Kreuzzug gegen die Sarazenen auf. Seither nennen sich die Grafen von Arles die Grafen der Provence. (82)

"Damals aber, als Cluny schon die abendländische Welt schon bewegte, war Paris noch eine Provinzstadt, Spielball zwischen Bischöfen und weltlichen Herren.
Das hatte sich auch unter Clodwig I. nicht geändert, als er Paris 808 zur Hauptstadt seines Reiches erhob. Den Karolingern war sie gleichgültig, selbst noch, als der Kapetinger Hugo sie um das Jahr 1000 zur Hauptstadt Frankreichs erklärte. Es waren politische Erklärungen, hinter denen keine kulturelle Kraft stand. Erst Ende des 12., Anfang des 13. Jahunderts begann die künstlerische Bedeutung von Paris. Hier entstand frühzeitig das, was wir heute Gotik nennen. Die neue hochstrebende Bauform, der sich die Zisterzienser verpflichteten, bot für Kapitelle keine Möglichkeit einer religiösen Unterweisung. Sie langen inzwischen so hoch, daß sie sinnlos geworden war. Dazu kam die schmuckfeindliche Einstellung der Zisterzienser, de darauf keinen Wert mehr legten, und schließlich bestimmten sie allein durch ihre Bauhütten die Architektur ihrer Zeit." (89)

Wenn ein Löwe seine Jungen durch Brüllen weckt, weist dies auf die Auferweckung von den Toten hin. Der Löwe am Kirchenportal wehrt das Böse ab. An Kanzeln und Sarkophagen symbolisiert er die überwundene Sünde. (90)

"Uns Heutigen ist die Sirene als Symbol der Unzucht nicht mehr geläufig, der Pfau als Zeichen der Unsterblichkeit, der Phönix als Hinweis auf den auferstandenen Christus. Wir verstehen auch ein Kapitell mit einem Schwein, das seine Jungen säugt, nicht mehr ohne weiteres als Symbol für die Mutter Kirche." (90)

"Bei den Griechen galt die Rose als Symbol der Ewigkeit, und im Alten Testament gehört sie zu den Pflanzen,die ewige Weisheit darstellen. Die Symbolik der Lilie aber stammt aus der persischen Königsstdt Susa. Bei den Griechen gehörte dann die 'königliche Lilie' als Attribut zu Zeus. Die Christen fanden für sie die meisten Vergleichsstellen im Hohenlied." (90)

"Erst im 7. Jahrhundert setzte sich allgemein der ans Kreuz genagelte Körper Christi durch, aber keineswegs als Leidensdarstellung. Der Gottmensch trimphiert über die Leiden. Am Kreuz finden wir dann bis ins 12. Jahrhundert den Christkönig mit Herrscherkrone - aber ohne Dornenkrone. So taucht auch in Kreuzgängen und auf Kapitellen die Keuzigung erst spät auf, etwas in Arles." (91)

Die "Leidensmystik kommt erst mit Bernhard von Clairvaux auf, die dann Bonnaventura besonders betont. Aber erst im 13. bis 15. Jahrhundert werden die Leiden Jesu ein Thema und der Passionsweg zu den sieben Hauptkirchen Roms ein Nachvollzug der schmerzhaften 'Gänge' Jesu, wie es dann Philipp Neri (1515-1995) sieht. All das gilt nicht für die erzählenden Kapitelle. Sie bildeten nie und nirgends eine Zusammenstellung in diesem Sinn." (92)

"So erscheint es ganz selbstverständlich, daß man immer nur bestimmte Teile der Bibel auf diese Weise illustrierte. Einzelne Szenen gestaltete man zum Thema einer steingewordenen Predigt. Es geht also gar nicht um eine 'Unordnung', die nur wir aus unserer heutigen Sicht empfinden, sondern um 'Predigtthemen'.
So finden wir immer wieder den Sündenfall, Abrahams Opfer und Jakobs Ringen mit dem Engel, Ijob, Bileam, die Anbetung der Könige, die Flucht nach Ägypten, den armen Lazarus und den reichen Prasser, das Abendmahl. Sehr spät wagt man sich, wie gesagt, die Kreuzigung darzustellen, aber schon früh und immer wieder die Auferstehung, die Himmelfahrt und das Jüngste Gericht. Man beabsichtigt also keine fortlaufende Erzählung, sondern zeigt aussagekräftige Beispiele." (92)

Die Romanik wurde "zum einprägsamen Mittel der Belehrung, Ermahnung, Erinnerung als eine Art 'biblia pauperum', als Armenbibel. In einer Zeit, in der nur wenige Bevorzugte lesen und schreiben konnten, predigte man mit belehrenden Bildern; nicht das flüchtige Wort verkündigte, sondern dauerhafte Bilder, die heute noch zu uns sprechen. Sie erzählen uns die Ortsgeschichte, verherrlichen den Lokalheiligen, verbreiten aber auch große theologische Gedanken in einfachen Bildern." (93)


Claude Jean-Nesmy: Vézelay - ein Höhepunkt der Romanik. Würzburg 1983. - Er versuchte, die 100 Kapitelle des Schiffes und die 24 des Narthes in ein System zu bringen und kam zu dem Schluss, dass es wohl "keinen Steigerung einer solchen Unordnung gibt." (89)

Ingeborg Tetzlaff: Romanische Kapitelle in Frankreich (1979)

Ingeborg Tetzlaff: Romanische Kapitelle in Frankreich. Löwe und Schlange, Sirene und Engel. Köln 1979. (DuMont)

"Daß der älteste Schmuch des steinernen Kapitells pflanzliche Formen sind, zeigt an, wie lange sich die Symbolbedeutung der Säule als lebendiger Baum im europäischen Raum zu erhalten vermochte. Die Idee vom Weltenbaum, der kosmischen Achse, in deren Umkreis sich alles Lebendige entfaltet, hat einige Jahrtausende mehr oder weniger bewußt überdauert." (9)

In Griechenland beschreibt eine Legende die Erfindung der Kapitelle: Die Amme einer jung verstorbenen Korintherin habe auf dem Grab einen Korb mit der Verstorbenen lieb gewesenen Gegenständen abgestellt und ein Tuch darüber gebreitet, um einem Diebstahl vorzubeugen. Im nächsten Frühjahr sei der Architekt Kallimachos zufällig zu dem Grab gekommen und das Tuch von einem Büschel Akanthusblätter angehoben gesehen, de aus dem Grab durch den Korb hindurchgewachsen waren. Dieser Anblick habe ihn auf die Idee der korinthischen Kapitelle gebracht, einem Korb voller Akanthusblätter. - Es war auch in der Tat so, dass die Griechen Säulen mit Akanthus-Kapitellen vorwiegend in Gebäuden verwendet haben, die für den Totenkult bestimmt waren. Die Akanthuspflanze war somit mit dem Gedanken an Auferstehung und Unsterblichkeit verbunden. Über die römische Zeit kam dieses Gedankengut auch in das Christentum, ging aber später verloren. (9)

"Es ist die Symbolwelt des frühen Mittelalters, welche die romanische Kunst über ihren unbestrittenen Schönheitswert hinaus so interessant macht. Während wir lange Zeit gewohnt waren, den kraftvollen primitiven Formen- und Einfallsreichtum der Bildwerke des 10., 11. und 12. Jahrhunderts unbefangen als künstlerischen Ausdruck der romanischen Epoche zu genießen und so Ungewohntes wie beispielsweise die Darstellung von Sirenen und Kentauren an Kapitellen oder Kirchenfronten als naiv übernommenes 'heignisches Erbe' anzusehen, wissen wir heute, daß nichts, aber auch gar nichts, in dieser Bilderwelt zufällig ist, sondern daß alle, auch das scheinbar unwichtigste Deteail, seine Bedeutung hat und in ein geistiges Programm eingegliedert ist, das von Wand zu Wand oder von Säule zu Säule abgewickelt wurde." (31)

"Ein romanisches Kapitell hatte nicht zu 'unterhalten' oder bloß 'schön' zu sein. Es hatte zu belehren, zu warnen, zu erheben, zu drohen, zu stärken, zu trösten und noch vieles mehr. Allerdings muß man seine Sprache verstehen, eine Sprache, für die wir taub geworden sind und die wir erst wieder lernen müssen, wollen wir ganz in den Geist der Kunstwerke eindringen, die uns aus jener Zeit erhalten geblieben sind." (32)

"Wir haben uns also eine Epoche vorzustellen, die - ganz im Gegensatz zu der unseren - wortarm war, in der dafür aber jahrhunderte- und jahrtausende alte Symbole ohne weiteres von jedermann verstanden wurden, in der man beispielsweise ohne besondere Erklärung wußte, daß dem Guten auf der rechten Seite, dem Schlechten oder zumindest Schlechteren oder Zweifelhaften die linke Seite zukam und daß eine waagrechte Zickzack- oder Wellenlinie, sei sie nun in einfachem geraden Auf- und Abstrichen dargestellt oder schon zur kunstvollen Spirale entwickelt, das Auf und Ab des irdischen Lebens bedeutete. Daß sich Rundbogen, eine Apsiswölbung und eine Kuppel immer auf das Überirdische, kurzum den Himmel, bezogen, scheint auch der Laie gewußt zu haben." (32)

Vor der Brust geöffnete Hände zeigen meist einen Verstorbenen vor dem Jüngsten Gericht. (33)

"Der den Hirsch jagende Kentaur, der Pferdemann des antiken Griechenlands, in dem sich Tierisches und Menschliches mischt, wurde so zum Verfolger des Neugetauften in Hirschgestalt, der seinem Pfeil zu entfliehen sucht. Denn dieser Pfeil, für den der bärtige Pferdemann, das Halbtier, seinen Bogen spannt, ist der Pfeil der Wollust, dem der jugendliche Täufling - noch war ja die Erwachsenentaufe üblich - nicht erliegen darf, will er sein ewiges Heil, das Paradies erreichen. Diese oft auf romanischen Kapitellen Frankreichs dargestellte Szene ist also keineswegs nur eine antike Reminiszenz, sondern die von einem neuen, christlichen Sinn erfüllte Mahnung zu sündlosem Verhalten." (36)

Die heidnischen Sirene "gilt mit ihren langen Haaren, die das Feminine schlechthin bezeichnen, als die Verführerin zur fleischlichen Sünde. Sie lockt den ihr Verfallenen in den ewigen Tod, wie sie bei Homer den vorüberfahrenden Odysseus in den irdischen zu locken sucht. Dieses Thema ... ist vielfältig abgewandelt worden: die Sirene mit dem Fisch, dem Symbol Christi und des Getauften in der Hand, die vielleicht noch gerettet werden kann, die Sirene als Harpyie mit Greifvogelklauen, mit geteiltem, d.h. verdoppeltem Fischschwanz usw." (36)

"Viel älter und dazu über die ganze Erde verbreitet ist das Bild des Baumes als Symbol des Lebens, der Verbindung zwischen Himmel und Erde, des Unter- und Überirdischen, und vieles andere mehr. Im germanischen Norden ist der Baum zur Weltesche Yggdrasil geworden, ... In der Bibel wird er zum Baum der Erkenntnis, von dem Adam und Eva nicht essen dürfen und zum 'Stamm Jesse', aus dem Christus als Frucht hervorgeht, ..." (37)

Beim Opfer Abrahams verfängt sich der Widder im Gestrüpp (). Der abtrünnige Absalom bleibt an einem Baum hängen und kommt dort zu Tode (). "In drei von diesen vier Bibelbeispielen wir der Baum zur Grenzscheide zwischen Gut und Böse. Und in diesem Sinn begegnet er uns immer wieder auf romanischen Kapitellen.
Hier wird er, meist auf zwei Äste mit wenigen Blättern reduziert, die in Y-Form auseinanderzweigen, zur Wegscheide, zur Mahnung, den 'rechten' Weg zu wählen und den linken, den der Sünde, zu meiden, um zum ewigen Heil zu gelangen. ... seine Y-Form geht auf die den christlichen Mönchen wohlbekannte Lehre des Pythagoras zurück und drückt die Wegteilung aus, die zum Guten oder Bösen führt. Die Beschränkung auf nur zwei Äste aus demselben Stamm ist so zu verstehen." (38)

"In ganz Gallien wurden Buche, Apfelbaum und Buchs als heilig angesehen und die Eiche besonders verehrt. Es lag also nahe, diesen ehrwürdigen, zu überwindenden Kult ins Christliche umzudeuten." (38)

"In strenger Zickzackform ist es immer wieder auf frühromanischen Kapitellen zu finden, entweder im Bezug zum Himmel, das heißt aufsteigend oder herabsinkend, oder aber waagrecht als irdisches Element, die Wechselfälle des Lebens und das Schwanken des Menschen zwischen Gut und Böse kennzeichnend." (39)

Die Spirale symbolisiert die große Muttergöttin des Mittelmeerraums. (39)

Die Doppelspirale verweist auf das "In- und Auseinanderentwickeln von Leben und Tod. Diese Symbolik liegt auch dem Zeichen 'S' zugrunde. Wo die Spirale seit der Steinzeit auftaucht, weist sie auf eine Erneuerung des Lebens, auf vegetabilisch und organische Fruchtbarkeit." (Gert Heinz Mohr, 40)
Es kann auf die Zeit hinweisen, auf die Zukunft (linke Spirale), die wir noch nicht haben, und die Vergangenheit (rechte Spirale), die wir nicht mehr verändern können. Wir können nur in der Gegenwart leben, in dem immerzu fließenden Übergang von Zukunft zur Vergangenheit.

Ein liegendes 'S' war das keltische Zeichen für Jahr. (40)

"Der Reichtum an keltischen und germanischen Symbolen ist also auch in die christliche Formensprache der romanischen Epoche eingegangen." (41)

"Die Kapitelle, die in jener Zeit in die Säulen von Kirchen und Klösterhöfen gemeißelt wurden, sind also von unzähligen Pilgern und Kreuzfahrern gesehen worden und waren ohne Zweifel unter anderem dazu bestimmt, ihnen Mahnung und geistige Wegzehrung zu sein. Sie sind ein Teilt jenes erstaunlichen religiösen Impulses, der so großartige Klostergründungen wie die der Mönche von Cluny ermöglichte, welche die großen Pilgerstraßen säumten, um den vielen Tausenden von Wallfahrern Herberge und Kost und notfalls ein Krankenlager zu bieten. Daß der Gedanke an den Tod bei den zahlreich drohenden Gefahren der Züge in unbekannte Länder, daß die Angst vor Pest und anderen Seuchen, vor Hunger, Überfall, Beraubung und sarazenischer Sklaverei die Dahinziehenden kaum je verließ, ist nur allzu verständlich. Auch diese Todesfurcht hat immer wieder die Themen der romanischen Kapitelle mit ihrer Mahnung, den rechten Weg zu wählen, bestimmt." (72)

Als Kaiser Lothar Mitte des 9. Jh. starb, soll es im damaligen Frankenreich bereits 1254 Klöster gegeben haben. Im 12. Jh. sollen rund 1.500 Abteien und Priorate der Abtei von Cluny unterstanden haben. (73)

"Denn der Kreuzgang war eines der wesentlichen Zentren mönchischen Lebens." (73)

Wolfgang Braunfels schrieb in "Abendländische Klosterbaukunst" über den Kreuzgang von Moissac: "Die Kapitelle der Säulen enthielten ganze Enzyklopädien von Szenen und Figuren des Alten und Neuen Testaments, sowie den Taten und Leiden der Heiligen. Der Kreuzgang wurde durch sie zu einem Ort der Belehrung und der Betrachtung, eine hochgemute Festlichkeit zog mit den farbigen Reliefs in dieses Atrium des Mönchshauses ein, die das Selbstverständnis und die Selbstachtung der Kluniazenser Benediktinertums kennzeichnet, Man geht kaum fehl in der Annahme, daß hier das Zeitalter die oberste Stufe seiner 'Wohnkultur' erreicht hat. Man bewegt sich in einem durchaus von Kunstwerken umschlossenen Bezirk. ... Der Kreuzgang emanzipiert sich zum architektonischen Hauptmotiv des Klosters. In den folgenden Jahrhunderten wurden seine fast unbegrenzten Möglichkeiten der Variation sowohl in den Architekturformen als auch als Bildl- und Skulpturträger von allen guten Klöstern genutzt. Mehr und mehr wurde der Kreuzgang auch zur geistigen Heimstätte der Mönche." (Wolfgang Braunfels, 73)

In Berücksichtigung darauf, dass Kanoniker auch im Kreuzgang begraben wurden, wie z.B. in dem von Saint-Trophime in Arles, "versteht man, daß besonders gern hier an den Kapitellen Auferstehungssymbole angebracht wurden - und seies auch nur wie in dem bescheidenen Kreuzgang von Saint-Paul-de-Mausole bei Saint Rémy in der Provence ein aufsteigender Adler." (74)

"Dasselbe gilt für den Pfau, der ursprünglich wegen seines farbenprächtigen Radschweifes ein Sonnensymbol und als solches der Juno heilig war. In einer Schilderung des älteren Plinius wurde behauptet, daaß er im Herbst alle Federn verliere und sie im Frühling wiedererlange. Der Kirchenvater Augustinus hielt sein Fleisch für unverweslich. Dadurch gewann sein Bild zur Zeit des frühen Christentums die Bedeutung eines Auferstehungssymbols. Auf französischen romanischen Kapitellen ist er oft zu erlesener Schönheit stilisiert. Trinken zwei einander gegenüberstehende Pfauen gemeinsam aus dem eucharistischen Kelch, d.h. vom Wasser des Lebens, so wird der Auferstehungnsbezug ganz besonders deutlich. Auf schmalsten Raum kann also vom wiedergefundenen Paradies sinnbildlich gesprochen werden." (74)

"Den gleichen Gedanken drücken die zahlreichen Akanthusblätter-Kapitelle in den Kreuzgängen und im Chor der Kirchen aus. Auch sie deuten darauf hin, daß den Gläubigen Auferstehung und ewiges Heil erwarten. Im Chor der Kirchen, wo am Altar fromme Bischöfe bestattet und die Reliquien der Heiligen bewahrt wurden, haben sie die gleiche Funktion." (74)

"Es wäre also grundsätzlich falsch, wollte man im plastischen Dekor romanischer Kapitelle nichts als 'schmückendes Beiwerk', vielleicht gelegentlich mit tieferem Sinn befrachtet, sehen." (74f)

Es geht nicht nur allein um biblische Szenen, sondern meist um Gut und Böse und deren Folgen (90f):

  • Daniel in der Löwengrube () = dem Gerechten passiert nichts
  • Bileam und seine Eselin () = Bileam drohte vom rechten Weg abzukommen
  • Jonas im Bauch des Fisches () = Unglück für falschen Weg, aber Rettung bei Bekehrung
  • Simson tötet einen Löwen () = ein Mensch besiegt das Böse
  • Teufel biete Jesus die Weltkugel an () = Jesus widersteht der Versuchung, das soll auch der Christ

Aus Ägypten kommt die Vorstellung der Seelenwaage. Dort wiegt Osiris die Seelen, im Christentum Michael. (92)

"Die Frage des Erwählt- oder Verdammtwerdens muß das ganze Zeitalter viel mehr beschäftigt haben als die Hoffnung auf Gnade und Erlösung durch Christi Leiden und Tod. Nicht zufällig sind Jüngstes Gericht und Christus als Weltenherrscher die immer wiederkehrenden Themen an Kirchenportalen, Chorwänden und Apsiden." (92)

"... die sirenenhafte Frau mit langen Haaren, die immer aus Lasterhaftigkeit deuten, ebenso die Nackten und die auf einem Bock, einem Schwein, mitunter auch auf einem Löwen Reitenden, mit dem Freiheitssymbol der phrygischen Mütze, sie alle sind Opfer ihrer fleischlichen Sünden. Ihre 'tierische' Leidenschaft trägt sie - gewöhnlich nach links - der Verdammnis entgegen. Nacktheit ist nun, im Gegensatz zur Antike, schändlich. Verbrecher werden ausgezogen. Nur die Erwählten im Jüngsten Gericht und Seelen, die vor ihrem Richter erscheinen, können 'mit Kleidern aus Licht bekleidet' sein, weshalb sie nackt dargestellt werden dürfen. Doch ist dies kein Thema für Kapitelle, sondern der Kirchenfronten. Der Heililge, der Mönch, der Reine ist ganz oder teilweise bekleidet; sein Gürtel, zum schrägliegenden Kreuz geschlungen, zeigt an, daß er sich fleischlichen Versuchungen fernhält." (93)

"der Akrobat, dessen Verrenkungen, vor allem der mit dem Kopf nach unten rückwärts gebogene Leib, als unnatürlich gelten. Hier mischt sich die mittelalterliche Ächtung des Fahrenden mit der unwillkürlichen Bewunderung für sein artistisches Können. Wenn er die intellektuelle Spekulation, die 'geistige Verrenkung' symbolisiert, so ist damit Gleiches gemeint: die Ächtung der Kirche für den undogmatischen, d.h. ketzerischen Denker, vermischt mit, wenn auch ungwollter Hochachtung vor seiner unleugbaren geistigen Potenz." (93)


"Wildschwein und Bock, Drachen und Schlangen besitzen Dämonencharakter in diesem oder jenem Sinn. Der Mann, der sich ihrer zu erwehren sucht, der die Schlangen zu erwürgen, den Drachen zu pfählen, die wutschnaubend einander angreifenden Löwen zurückzureißen und mit einem Stein zu erschlagen trachtet, ist der Mensch, der das Dämonische und Lsterhafte in sich besiegen will. Umringt vom Bösen, von Ungeheuern, die ihn oft von beiden Seiten zugleich bedrohen, kämpft er gegen die verderbenbringenden Triebkräfte der Seele, gegen das Tierische in sich selbst. Dieser Kampf ist in vielerlei Varianten, von den Kapitellen ablesbar, ist das Gegenstück zu der Wahl zwischen den beiden Wegen, der, das Bild des Lebensbaum aufnehmend, in der Y-Form mit den beiden schön geschwungenen Voluten ausgedrückt wird." (94)

"Von den Vögeln erfahren Pfau und Adler, Phönix, Greif und Taube positive Bewertung. Seit uralter Zeit östliche Sonnensymbole, verkörpern die vier Erstgenannten den Gedanken der Auferstehung, die Taube den Heiligen Geist. Negativ gesehen werden andere Vögel: die Fledermaus als teuflisch, der Hahn als streitsüchtig, gewalttätig und sexuell ausschhweifend, der Rabe als Unglücksbringer, als schamlos, unrein, sündig und dämonisch. ... Manches ist übernommen worden aus heidnischer Zeit, aus griechischer, keltischer oder germanischer Überlieferung, so die Eule der Athena-Minerva." (97)

"Die Verdoppelung, vor allem die Gegenüberstellung zweier Tiere derselben Gattung, ist überhaupt nicht selten in der romanischen Kunst. Löwenpaare sind, wohl weil aus orentialer Überlieferung stammend, am häufigsten, aber auch Pfauen, Schlangen, Reiher, Greifen, Drachen und andere Fabelwesen sind auf Kapitellen so oft zu zweien angeordnet worden, dass man sagen kann, der Dualismus gehöre geradezu zum Wesen der romanischen Symbolik." (100)

"Im Süden Frankreichs spielt noch etwas anderes mit hinein: die Ablehnung des Gedankenguts der Sekte der Katharer, die Ideen des persischen Manichäertums aufgenommen hatte." (100)

Zur Einheit von Leib und Seele: "Diese Einheit in der Zweiheit ist auch gemeint, wenn wir zwei Leiber mit einem gemeinsamen Kopf sehen, nicht nur wie bei dem Mann in Chauvigny, sondern auch dort, wo beispielsweise die Leiber von Wolf und Wölfin in einem Wolfskopf vereinigt sind." (100)

"Der Pinienzapen hat seine uralte Bedeutung als Unsterblichkeitssinnbild, als das er noch im antiken Rom und in seinen Provinzen galt, auch in christlicher Zeit nicht verloren. Die Weintraube, einst zum Dionysioskult gehörend, wird nun dem Erlöser geweiht und verheißt die Freuden des Paradieses." (101)

Lorbeer-, Reben- und Palmblätter und auch Rose und Lilie, die in der Gotik als Sinnbild von Jungfräulichkeit und Reinheit im Marienkult so beliebt werden sollte. Die Palme ist Zeihen von Martyrium. Lorbeerkränze sind Zeichen des Ruhmes und des Friedens. (102)

"Die Kapitelle von Rozier verbinden also aufs eigenartigste keltisch-heidnisches, antikes und christliches Gedankengut, wenn sie das große Thema der romanischen Kunst, den gefahrvollen Weg zum ewigen Heil, mit der primitiven Kraft einer noch jugendlichen Gläubigkeit gestalten." (137)

"Wir sehen, die romanische Kunst hat einen kosmischen Aspekt und die Menschen jener Zeit besaßen eine Weltschau, ebenso bedeutend wie geisterfüllt. Erst wenn wir verstanden haben, daß sie sich einer Symbolsprache bedienten, deren Kenntnis uns verlorengegangen ist, begreifen wir die ganze Größe dieser Kunst.

Bilder erklärt:

  • Junge Hirsche über 3 Reihen von Wellen = Neugetaufte, die 3x untergetaucht wurden (12)
  • Ziegenbock als Zeichen der Wollust (33)
  • 4 Blätter = Symbol der Erde; in der re. Hand 3 Hörner = Dreifaltigkeit (34)
  • Mann erwürgt Schlangen (Sündensymbol) = Mann überwindet die Sünde (35)
  • Mann 2 Steinböcke (Sündensymbol) zurückdrängend = Mann widersteht der Sünde (36)
  • Mann kopfunter, die Füße von Tieren anfressend = Mann stürzt in die Hölle (37)
  • Dämon frisst einen Menschen = Mensch gab sich der Sünde hin und kommt in die Hölle (46)
  • gespalteter Mensch = zwispältiger Mensch, zwischen Gut und Böse (52)
  • Greife als Zeichen der Auferstehung (58)
  • Eine Säule verschlingender Dämon, das sogenannte "grand goule" (Großmaul), ist keltischen Ursprungs. (60)
  • Sonnenrad (geschwungene Sonnenstrahlen) = Christussymbol (68)
  • Löwe zerbeißt die Schlange = Christus besiegt den Tod und das Irdische (70)
  • Adler und Pinienzapfen = 2 Auferstehungssymbole (71)
  • (Beaune) Löwe mit Pferdekopf bläst die Panflöte und läutet die Glocke; die Ziege spielt Harfe = Symbol für Choleriker und Sanuiniker
  • Gekrönte mit Pinienzapfen = ernten die Früchte des Paradieses = ewiges Leben (79)
  • Adler alleine = Auferstehungnssymbol (90)

Eva Licht: Ottonische und frühromanische Kapitelle in Deutschland (1935)

Eva Licht: Ottonische und frühromanische Kapitelle in Deutschland. (phil. Dissertation) Magdeburg 1935.

"Die ottonische Kunst übernimmt von der karolingischen die Aufgabe, die Einschmelzung des antiken Erbes zu vollenden. Sie tut es, indem sie nicht die Formen der Antike sinnlos nachahmt, wie es in der karolingischen Kunst aus Scheu vor dem Fremden und damit Heiligen oft geschehen ist, sondern indem sie die antiken Formen umbildet zu einer archaischer Monumentalität." (7)

"Es ist Aufgabe des Kapitells, zwischen dem aufsteigenden Rund der Säule und dem lastenden Rechteck des Gebälks (bzw. dem Quadrat des Arkadenfußes) zu vermitteln. Die Lösungen, die man dafür gefunden hat, sind sehr verschiedener Art." (7)

"Die in Deutschland erhaltenen karolingischen Kapitelle lassen sich ohne Mühe in zwei große Gruppen teilen, zu denen sich noch einige Einzelstücke gesellen, die man von anderen, vornehmlich außerdeutschen Anregungen ableiten kann. Die erste Gruppe befindet sich an den Bauten, die von Karl dem Großen selbst veranlaßt waren, in Aachen, Lorsch und Nymwegen. Anzuschließen ist ein Kapitell aus St. Michael in Fulda und ein kleines Kapitell aus dem Fuldaer Dom, das sich jetzt im Museum in Marburg befindet. Es ist die Gruppe, auf die der höfische Stil den meisten Einfluß hatte, die also eine starke antikisierende Richtung haben. Man könnte sie in die Parallel setzen zu der Miniaturenwerkstatt, die wir als Palastschule bezeichnen, und in der ebenfalls das antike Vorbild eine große Rolle spielt. - Die 2. Gruppe ... sind dies die Stücke aus Hersfeld, Fulda, Johannisberg, Schlüchtern, Seligenstadt an die eventuell anzuschließen sind die Kapitelle von Unterregenbach in Württemberg. - In diese Gruppe lassen sich nicht einordnen: die Pilasterkapitelle des Westbaues von St. Castor in Koblenz, die Westwerkkapitelle von Corvey, zwei Kapitelle im Baseler Historischen Museum, die von dem dortigen karolingischen Dom stammen sollen und ferner zwei Bruchstücke aus Halbsäulenkapitellen in Prüm." (12)

"Die Kapitelle des Westbaues von St. Castor in Koblenz knüpfen am meisten von allen karolingischen Kapitellen an Vergangenes, an den merowingischen Stil an". (12)

"Merkwürdige und sehr eigenwillige Umbildungen sind die Kapitelle, die man in Lorsch bei den Ausgrabungen gefunden hat. Sie zeigen kaum Anlehnung an den Typ des karolingischen oder kompositen Kapitells; ganz hohe und schlanke Blätter sind dem Kern in völlig unorganischer Weise aufgelegt, in ihrer Anordnung sind also wohl noch Erinnerungen an merowingische Kompositionspprinzipien lebendig." (15)

"Die frühesten Würfelkapitelle im Abendland kommen in Deutschland vor (einschließlich holländischer und schweizerischer Grenzgebiete), wo sie sofort sehr häufig auftreten. Etwas später trifft man das Würfelkapitell auch in der Normandie und in England (ungefähr von 1070 ab)." (77)

"Das Würfelkapitell gehört nicht zum französisch-cluniazensichen Bauprogramm, sondern wird erst in Deutschland mit ihm in Zusammenhang gebracht. Da der orientalische Einfluß in der spätottonischen Kunst Deutschland überall deutlich zu verfolgen ist, besteht die Möglichkeit, daß durch ihn auch das Würfelkapitell Eingang gefunden hat." (78)

"Die Anfänge des tektonischen Kapitells überhaupt liegen in Deutschland um und nach 900." (79)

"Die ersten voll ausgebildeten Würfelkapitelle in Deuschland sind die in Limburg/Haardt und in der Krypta des Doms von Speyer." (83)

"Der Elsaß wurde im ganzen von Deutschland aus reformiert und so erklärt es sich, daß die Bauten aus der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts ausschließlich Würfelkapitelle haben. Es handelt sich umm die vier Bauten Weißenburg, Surburg, Hattstatt und Ottmarsheim." (85)

Anhang

Bibelzitate

"Wenn sie schweigen, werden die Steine schreien." (Lk 19,40)

Anmerkungen


Einzelnachweise

  1. Werner Busch, Reiner Haussherr, Eduard Trier (Hg.): Dunst als Bedeutungsträger. Gedenkschrift für Günter Bandmann. Berlin 1978.
  2. Franz Rademacher: Zur Symbolik des Drachens im Mittelalter. Apotropäische Drachen an Kirchengiebeln und auf Reliquiaren. In Werner Busch, Reiner Haussherr, Eduard Trier (Hg.): Dunst als Bedeutungsträger. Gedenkschrift für Günter Bandmann. Berlin 1978, 61-76.
  3. Günter Bandmann: Ikonologie der Architektur. 2. Auflage. Darmstadt 1969.
  4. https://de.wikipedia.org/wiki/Hadrian_I. Zugriff am 22.08.2019.
  5. Günter Bandmann: Mittelalternliche Architektur als Bedeutungsträger. Berlin 1951.